Im Oktober lernen sich vier Autorinnen der deutschen Cities of Literature – Heidelberg und Bremen – kennen und reden miteinander in zwei Veranstaltungen über ihre Werke, ihr Schreiben und ihre Städte. Am 11. Oktober waren Ursel Bäumer und Gianna Lange zu Gast in Heidelberg und am 25. Oktober kommen Sofie Morin und Charlotte Döhrmann nach Bremen.
Durch diese Veranstaltungen lernen sich nicht nur die Autorinnen besser kennen, sondern auch die Institutionen, die hinter den Literaturschaffenden stehen: das Kulturamt Heidelberg und das Bremer Literaturkontor, deren Mitarbeiter*innen beide Lesungen begleiten. Außerdem kann natürlich ein interessiertes Publikum an der eintrittsfreien Veranstaltung in Bremen teilhaben.
Um Revue passieren zu lassen, schreiben die vier Autorinnen über ihre Besuche in der anderen Stadt. Es folgt der erste Aufschlag der Bremer Autorin Ursel Bäumer, die in Heidelberg von der Autorin Sofie Morin interviewt wurde und aus ihrem aktuellen Roman Louise (Nagel und Kimche, 2024) las – und von Gianna Lange, die sich im Gespräch mit der Heidelbergerin Charlotte Döhrmann über ihren Debütroman Und dann springen wir (Frankfurter Verlagsanstalt, 2025) und dessen Entstehung ausgetauscht hat.
Geheime Verabredung
mit Sophie Mereau-Brentano in Heidelberg
von Ursel Bäumer
Um ehrlich zu sein, Sophie, seitdem ich im Buch deiner Kolleginnen Frauen lieben lernen auf deine Geschichte gestoßen bin, habe ich diese merkwürdige Ahnung, mit dir in Heidelberg verabredet zu sein.
Als würdest du überraschend aus einem der Hauseingänge in der Grabengasse kommen, mir im Schlosspark oder unten am Neckar begegnen, als wärst du selbstverständlich nicht vor über 200 Jahren gestorben.
Ja, fast scheint mir, du bist es, Sophie, da hinten unter den Linden, das Kinn gereckt, den Blick nach oben, mit dem großen Hut auf dem gewellten Haar und der warmen Pelerine um die Schultern.
Komm, setz dich zu mir an den Löwenbrunnen, schräg gegenüber von deinem Wohnhaus, das längst nicht mehr dasteht. Immerhin erinnert eine Tafel an dein Leben hier.
Erzähl mir, wie du es als erste Frau geschafft hast, deinen Unterhalt als Schriftstellerin selbst zu verdienen. Erzähl mir von deinem Drang nach Freiheit und Selbstständigkeit und warum du dich trotzdem für eine Heirat mit Clemens Brentano entschiedest, Kinder empfingst, die nicht überlebten, bis du selbst jung im Wochenbett starbst.
Zerrissen zwischen Kunst und der Liebe, zwischen Kunst und der Rolle als Ehefrau und Mutter.
Ähnlich wie hundert Jahre nach dir Paula Modersohn-Becker, die Worpsweder Malerin aus meiner Heimat, die wie du, Sophie, Großes geschaffen hat und noch so viel mehr vorhatte, bevor sie im Kindbett starb, mit nur dreißig Jahren.
So viele Jahrhunderte und so wenig gewonnen, schreiben Franziska und Sofie in ihrem Buch. Und doch so viel.
Denn nur deshalb sitze ich heute hier am Brunnen und schaue auf deine Gedenktafel, weil du und Paula für so viele, die nach euch kommen, den Weg geebnet habt; weil wir euch sehen, ihr „Luftgängerinnen“ zwischen den Zeiten; weil ihr uns berührt, inspiriert, uns Mut macht und in eurer Kunst lebendig werdet, immer wieder aufs Neue.
Und plötzlich bin ich mir sicher, dass du es bist, Sophie, dort auf dem Universitätsplatz, aufrecht, das Kinn gereckt. Als wolltest du mir ein Zeichen geben: Wie du dich zu mir umdrehst und mich lächelnd ansiehst, bevor du allmählich im Dunkel des Hauseingangs verschwindest.
Sofie Morin (Hg. in) „Frauen lieben lernen“, Edition Arthof 2025, ebd. S. 211
Kann man sich nicht aussuchen
von Gianna Lange
Das kann man sich ja nicht aussuchen. Ich winde und wehre mich dagegen, denke, es muss doch, es kann doch nicht so schwer sein! Und es legt den Kopf schief, sieht mich an, wundert sich, denn doch, das ist es manchmal, Liebchen, das kannst du dir nicht aussuchen.
Ich wurde ausgesucht, von Bremen für Heidelberg. Das ist eine Ehre, um das mal klarzustellen, das gehört gefälligst ordentlich genossen. Das erste Mal in Heidelberg obendrein, so eine schöne, geschichtsträchtige Stadt. Das wird mich ablenken, ganz bestimmt. Und es legt den Kopf schief, sieht mich an, wundert sich, denn du bist ja bloß mit halber Kraft hier, das Glas ist fast leer, und du willst dir noch mehr abverlangen, Liebchen, wie soll denn das gehen? Aber schlimm ist das ja nicht, du kannst dir das Wann halt nicht aussuchen.
Wir gehen los, spazieren am Neckar entlang, ich habe vergessen, in welchem Bundesland wir sind, ich norddeutsche Banausin. Uns werden Orte gezeigt und Geschichten erzählt. Hier hat Luther seine Thesen verteidigt, dort haben Nazis Bücher verbrannt, das da ist Heidelbergs ältestes Gebäude und gleich sind wir oben am Schloss. Es ist so schön, wie alle sagen, und hier und da noch schöner.
Ich stehe und staune und ringe um innere Ruhe. Und es legt den Kopf schief, sieht mich an, wundert sich, denn du kämpfst so sehr, doch das wird heute nix mehr, Liebchen. Wir stehen vor einem Lokal wie aus dem Bilderbuch, als das Glas endgültig leer ist. Wir sind nur noch mein Match und ich, die fabelhafte Heidelbergerin, die mit mir vertandemt wurde, und in diesem Moment tut es mir leid, dass sie mich abbekommen hat. Ich stammele, es muss doch, es kann doch nicht so schwer sein. Und sie lächelt mich an und sagt: Doch, das kann es, aber dann ist es halt so. Das kann man sich ja nicht aussuchen.
Am nächsten Tag gibt es liebe Menschen, Literatur und Pizza und tatsächlich ist alles etwas leichter. Denn eines konnte ich mir durchaus aussuchen: trotzdem da zu sein. Was für ein Glück.
Ursel Bäumer
lebt als freie Schriftstellerin in Bremen. 2011 erschien ihr erster Roman Zeit der Habichte im Dörlemann Verlag. Ursel Bäumer wurde für ihre schriftstellerische Arbeit mehrfach ausgezeichnet, zuletzt 2021 mit dem Projektstipendium der Freien Hansestadt Bremen für das Schreibprojekt MAMAN, das sie 2022 als Writer in Residence in der Bremer Landesvertretung in Berlin erfolgreich vollendete und das 2024 als Louise bei Nagel und Kimche erschien.
Gianna Lange
studierte Journalistik und Transnationale Literaturwissenschaft in Bremen und London. Sie ist Gründungsmitglied des Lyrikkollektivs gabrieleschreibtgedichte sowie des Kollektivs für junge Literatur Kollit, in dem sie Redaktionsmitglied der Literaturzeitschrift Koller ist. Im Jahr 2015 erhielt sie vom Bremer Literaturkontor das Bremer Autor*innenstipendium für ihr Romanprojekt Elise. 2025 erschien ihr daraus entstandener Debütroman in der Frankfurter Verlagsanstalt. Gianna Lange lebt in Bremen und arbeitet dort im Konzerthaus Die Glocke sowie beim Musikfest Bremen.
Bremen liest Heidelberg findet am 25. Oktober ab 18.30 Uhr im FLUX Bremen statt. Ursel Bäumer trifft auf Sofie Morin und Gianna Lange auf Charlotte Döhrmann. Der Eintritt ist frei!
Eine Kooperationsveranstaltung der UNESCO Cities of Literature Bremen und Heidelberg in Zusammenarbeit mit dem Bremer Literaturkontor, dem Literaturherbst Heidelberg und dem Flux.
Mit freundlicher Unterstützung durch den Senator für Kultur.