Bremen liest Heidelberg – Sofie Morin & Charlotte Döhrmann

Auf einem Buchrücken steht "Bremen - Heidelberg"
© Rike Oehlerking

Im Oktober lernen sich vier Autorinnen der deutschen Cities of Literature – Heidelberg und Bremen – kennen und reden miteinander in zwei Veranstaltungen über ihre Werke, ihr Schreiben und ihre Städte. Am 11. Oktober waren Ursel Bäumer und Gianna Lange zu Gast in Heidelberg und am 25. Oktober waren Sofie Morin und Charlotte Döhrmann in Bremen.

Durch diese Veranstaltungen lernen sich nicht nur die Autorinnen besser kennen, sondern auch die Institutionen, die hinter den Literaturschaffenden stehen: das Kulturamt Heidelberg und das Bremer Literaturkontor, deren Mitarbeiter*innen beide Lesungen begleiten. Außerdem kann natürlich ein interessiertes Publikum an der eintrittsfreien Veranstaltung in Bremen teilhaben.

Um Revue passieren zu lassen, schreiben die vier Autorinnen über ihre Besuche in der anderen Stadt. Dies ist der zweite Aufschlag der Heidelberger Autorin Sofie Morin, die in in Bremen von der Autorin Ursel Bäumer interviewt wurde und aus ihren aktuellen Veröffentlichungen las – und von Charlotte Döhrmann, die sich im Gespräch mit der Bremerin Gianna Lange über ihre Lyrik und den Weg zur Veröffentlichung ausgetauscht hat.

Begegnung mit Ursel Bäumer in Bremen

von Sofie Morin

 

Es ist eigentlich immer dasselbe, egal ob an bekannten oder mir unbekannten Orten: Gegen die Unübersichtlichkeit der Welt wende ich mich in Zwiesprachen. Über die Literaturstadtgemeinschaft ist Ursel zunächst in Heidelberg mein Du, dann in Bremen.

Es kommt mir entgegen, Städte im Gehen zu erleben: Ein Tasten mit Fußsohlen auf vorgefertigtem Grund, dem ich lustvoll misstraue, voll Vorfreude. Ein manches Mal trete ich zur Seite, schaue über die Ränder der Gruppe hinaus, blinzle, um scharf sehen zu können. Häuserzeilen ziehen an uns vorbei. In Bildern versuche ich ihre Architektur festzuhalten. Und einmal mehr weiß ich nicht, wie über eine Stadt zu sprechen ist, die mir in keiner Weise gehört.

Inzwischen sind wir längst schon per Du. Heute Abend werden wir auf einer Bühne sitzen, über Blickwinkel, über Reibung sprechen. Bevor wir hineingehen, schauen wir auf die Fassade des Hauses: “POWER JOY HUMOR RESISTANCE”, die Lichtinstallation von Monica Bonvicini. Du sagst, dass der Lichtschein heute fehlt, und ich denke mir das Rot hinzu: Leben, Lust, Kampf, Scham, Wut.1 Es ist dein LauschOrt.

Deine Beschreibung beginnt mit tanzendem Licht auf dem Fluss, der die Weser ist. Ich höre dein lyrisches Ich der Spiegelung des Lichtbilds folgen. Heitere Leichtigkeit und Leuchtkraft schreibst du ihm zu. Und ich will auf deine Zugewandtheit mit einem mitgenommenen Satz aus dem Heidelberger Theater antworten: “Freude ist mein Aktivismus”2, denkend an Rebecca Solnit3, und daran, dass wir viele sind.

Vor der gemeinsamen Lesung haben wir keine Zeit, um dein Gedicht zu hören. Später nährt es die ersten Kilometer meiner Zugfahrt zurück nach Heidelberg. Hineinschwärmen, sagst du, in das Dahinter der Wörter; entdeckst uns, wo die Landschaften hinter den Augenlidern liegen, ein Rauswurf aus dem Strom der Ziellosigkeit. Und flugs bin ich bei schreibend kartierten Innenorten, dem Aufbäumen übers Papier hinaus.

Und ich sage mir, es wäre gut, mich mit Wut zu befassen. Aber nicht heute. Heute räkle ich mich wohlig in der Kraft des Gemeinsamen. Deine Idee vom hochgeschlagenen Kragen nehme ich mit, doch in unserem Raum brauchen wir ihn nicht. Du sitzt neben mir, offen in unseren Dialog tauchend wie in Wasser. Der Lichtschein darauf warmrot.

1Wir schauen gemeinsam auf das Werk der Künstlerin, die sich wiederum auf eine andere Frau bezieht: die amerikanische Journalistin und Frauenrechtsaktivistin Soraya Chemaly ("Rage Becomes Her")

2aus: Lamin Leroy Gibba: Doppeltreppe zum Wald; ausgezeichnet mit dem Publikumspreis und dem SWR2-Hörspielpreis des Heidelberger Stückemarkts 2023

3die schrieb: "Freude verrät nicht, sondern unterstützt den Aktivismus. Und wenn Sie einer Politik gegenüberstehen, die darauf abzielt, Sie ängstlich, entfremdet und isoliert zu machen, ist Freude ein schöner erster Akt des Aufstands."


Im Oktober Zuhause

von Charlotte Döhrmann

 

Heidelberg. Als die Bremerinnen kamen, sah ich die Stadt mit anderen Augen. Zum ersten Mal betrat ich die große Kirche, hörte den Namen vom Marktplatzbrunnen und lernte den kürzesten Weg zum Schloss. Ich kannte vor allem die steinerne Brücke, auf der meine Mutter mich abgesetzt hatte, vor 16 Jahren, mit zuviel Gepäck.

Als wir diesmal auf ihr standen, war der Neckar ärmer an Versprechen und erleichtert war ich kurz davor zu sagen: erst lesen und dann springen wir –

Von oben sahen wir die Stadt, die mich immer nur beherbergt hat als Gast, die Altstadt zwischen den Hügeln in verdächtig sanftem Nebel, die Gässchen sichtbar wie die Dächer der Gebäude, zwischen denen ich jahrelang umherirrte wie ein Kartoffelspross in der Vorratskammer, manche Türen durchdringlich und andere ganz Wand. Aber von hier schien sie vertraut und friedlich, und vielleicht liegt nichts schlechtes darin,

vielleicht kann mir Heidelberg nur von außen Heimat sein.

Bremen. Richtung Nordsee und so nah am Ort, den ich mal Zuhause nannte. Die schneidende Luft und der Regen erinnerten mich daran wie die fein geschnittenen Apfelscheiben im Café Heinrich, als säßen wir wieder zu viert um den Esstisch, nur diesmal frei.

Worüber ich nicht sprechen will, darüber will ich schreiben. Und schwer hat man es mit hermetischer Kunst, dachte ich, aber die Stadt nahm mich auf wie ein Findelkind. Nach nur wenigen Stunden gingen wir über glänzende Sandsteinfliesen

durch Konzertsäle über Holztreppen, wir hangelten uns an Stahlseilen und für immer verlorenen Funkgeräten vorbei und sahen von oben die Mäusetunnel im Staub bis die Dachluke sich öffnete:

plötzlich standen wir oben neben den Glocken vom Dom und sahen auf deine leuchtenden Arterien als wolltest du uns nichts verheimlichen.

Wir standen da mit Angststörung und PTSD, doch wir standen still und einig.

Und in den Wallanlagen sitzt neben dem Stadtgraben ein Zieharmonika-Spieler, auf den es goldene Blätter rieselt,

und die Menschen mit Händen voll zimtener Franzbrötchen, die Bühnen zwinkernd wie die Weser am Abend

und unser Zuhause liegt immer
zwischen den Zeilen.

Portrait von der Seite der Autorin Sofie Morin
© Marcus Klump

Sofie Morin

(Pseudonym) lebt seit 20 Jahren nahe Heidelberg. Die studierte Biologin und Philosophin veröffentlicht seit langem in zahlreichen Literaturzeitschriften und Anthologien. 2023 Gewinnerin des Heidelberger Autor*innen-Preises. Gemeinsam mit Dorina Marlen Heller veröffentlichte sie 2023 den Lyrikband Schwestern im Vers. Zwiesprachen zwischen morgen und Frausein (Edition Melos). Aktuell Teilnehmerin der Darmstädter Textwerkstatt. 2025 erschien ihr Band Liebeleien mit Wuchsformen (Edition Arthof) sowie (gemeinsam mit Ulrike Titelbach) der Lyrikband Nachtschatten im Frauenhaarmoos. Phytopoetische Dialoge (Edition Melos).

Charlotte Döhrmann

ist Autorin, Moderatorin, Kulturvermittlerin mir dem Hintergrund in Philosophie & Literaturwissenschaft. 2024 gründete sie gemeinsam mit Jonas Spies die Literatur- und Kulturplattform Pigeon Publishing. Sie selbst schreibt Lyrik, Prosa und politische Essays mit queerfeministischer Perspektive. Februar / März 2025 Stipendiatin auf dem 11. Wintercampus der Künstlerstadt Kalbe. Eigene literarische Veröffentlichungen in Literaturmagazinen und -anthologien.

Portrait der Autorin Charlotte Döhrmann
© Christian Buck

Bremen liest Heidelberg fand am 25. Oktober im FLUX Bremen statt. Ursel Bäumer traf auf Sofie Morin und Gianna Lange auf Charlotte Döhrmann.

Eine Kooperationsveranstaltung der UNESCO Cities of Literature Bremen und Heidelberg in Zusammenarbeit mit dem Bremer Literaturkontor, dem Literaturherbst Heidelberg und dem Flux.
Mit freundlicher Unterstützung durch den Senator für Kultur. 

Plakat für die Veranstaltung Bremen liest Heidelberg am 25.10.25 mit Ursel Bäumer, Gianna Lange, Sofie Morin und Charlotte Döhrmann

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