Bloomsday: Johann-Günther König

Ein Foto von Alkoholflaschen
© Rike Oehlerking

Zeit zur Feier des Bloomsday 

Von Johann-Günther König

Am 16. Juni 1904 durchqueren der sich einsam fühlende Anzeigenakquisiteur Leopold Bloom und der junge Dichter und Lehrer Stephen Dedalus die irische Metropole Dublin – nicht ahnend, dass ihre Wege sich kreuzen werden. Die Rede ist von einem weltliterarischen Geschehen, dass sich in dem Roman Ulysses entfaltet.

Die UNESCO City of Literature Dublin kann auf vier Nobelpreisträger für Literatur zurückblicken, die in ihren Mauern agierten: William Butler Yeats, George Bernard Shaw, Samuel Beckett und Seamus Justin Heaney. James Joyce (2.2.1882 - 13.1.1941), der Verfasser des so modernen wie unkonventionellen Romans Ulysses, erhielt ihn allerdings nicht, obwohl sein kompositorisch schlüssiges, sprach-, motiv- und symbolreiches Werk für die Romankunst Maßstäbe gesetzt hat.


Den ersten adäquat zelebrierten Bloomsday arrangierte James Joyce persönlich am 16. Juni 1929. Damals genoss er mit seiner Verlegerin Sylvia Beach, dem Schriftsteller Samuel Beckett und einigen Bekannten im Hotel Leopold nahe Paris ein déjeuner Ulysses. Die Rückkehr in die Hauptstadt artete in eine so heftige Zechtour aus, dass der Kutscher, der die Gesellschaft begleitete, den sturzbetrunkenen Beckett in einer Gaststätte sitzen ließ. Inzwischen ist der 16. Juni der weltweit einzige Feiertag, der einem literarischen Werk gewidmet ist. In irischen Kalendern wird der Bloomsday gleichwertig neben dem gesetzlichen Gedenktag Saint Patrick’s Day aufgeführt. Tausende “Joyceans” folgen an diesem Tag dem fiktiven Weg von Leopold Bloom durch die Straßen und Pubs der Stadt.  


Im Ulysses erzählt James Joyce in Anlehnung an Homers episches Gedicht Odyssee in 18 – jeweils in einem speziellen literarischen Stil abgefassten – Episoden von den Irrfahrten und der Heimkehr des modernen Odysseus Leonard Bloom und seines (quasi einen Moment lang angenommenen) Sohnes Telemach alias Stephen Dedalus. Der rund tausendseitige Roman – Joyce nannte ihn eine „spaßhaft-geschwätzige allumfassende Chronik mit vielfältigstem Material“ – erschien am 2. Februar 1922, dem 40. Geburtstag des Autors. In England und den USA blieb das Werk von der Zensur wegen „Behandlung sexueller Dinge in der Alltagssprache der unteren Klassen“ zehn Jahre lang verboten.

Die erste „vom Verfasser geprüfte deutsche Ausgabe“ des Ulysses erschien 1927 in drei Bänden von Georg Goyert (1884-1966). Sie blieb hierzulande bis in die 1970er Jahre hinein singulär. Die 1975 vorgelegte zweite Übersetzung von Hans Wollschläger (1935-2007) erregte auch aufgrund der von ihm entwickelten archaisierenden Kunstsprache große Aufmerksamkeit. Gegenwärtig überzeugt Heiko Postma mit den von ihm neu übersetzten Episoden. Der Redakteur und Übersetzer aus dem Englischen kennt Joyce’s voluminösen Roman in- und auswendig und zelebriert seit 2004 in Hannover den Bloomsday.


Im Ulysses erwähnt James Joyce mehr als siebzig Alkohol anbietende und ausschenkende gastliche Stätten. Viele existieren nicht mehr – so auch die Lebensmittel-, Wein- und Spirituosenhandlung Kiernan and Co. Dabei spielt in ihr die literarisch außergewöhnliche, siebzig Seiten lange Kneipenszene, die Joyce aus der Perspektive eines namenlosen Mannes erzählt. Diese zwölfte Episode beginnt mit dem Auftritt des namentlich nicht genannten Schuldeneintreibers, der offenbar mächtig Brand hat:

So sind wir denn bei Barney Kiernan reingeschoben, und da war, na sicher, der Bürger schon in seiner Ecke und dabei, ‘ne gewaltige Unterredung mit sich selbst abzuhalten und mit diesem verdammten räudigen Riesenköter, und drauf zu warten, was ihm der Himmel an Trinkbarem runterregnen würde.
– Da isser, sag ich, in seinem Ruhmeswinkel, mit seinem Bierpott und seinem Packen Zeitungen – am Arbeiten für die gute Sache.
Die verdammte Töle stieß ‘n Knurren aus, könnt’st das Grauen von kriegen. Wär’n leibhaftiges Werk der Gnade, wenn irgendwer diesem Mistköter das Lebenslicht auspusten würde. Ich hab gehört, als Tatsache, der hätt nem Polizeimann in Santry, der mal mit nem blauen Papier vorbeikam, wegen ner Lizenz, ‘n ganzes Stück von dessen Hosen weggefressen. (Heiko Postma)


Porträt von Johann-Günther König
© Hajo König

Johann-Günther König

Aufgewachsen in Bremen; Jugend im Realschulinternat Langeoog; Studium der Sozialpädagogik in Bremen; 1986 Promotion mit einer Studie über das öffentliche Kinder- und Jugendbibliothekswesen (Institutionen für fiktive Adressaten, Haag&Herchen 1986). Seit 1975 als freier Schriftsteller tätig; in der Zeit von 1987 bis 2000 Erwerbstätigkeit als Geschäftsführer für Unternehmen im Bereich der Telekommunikation. Mehrere Auszeichnungen. Von 1978 bis 2015 ehrenamtliches Vorstandsmitglied im Verband deutscher Schriftsteller (VS) in ver.di, Landesbezirk Niedersachsen/Bremen, sowie in ver.di-Gremien. Gründungs- und langjähriges Vorstandsmitglied im Bremer Literaturkontor.

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