Satzwende: Pierre Jarawan (1/2)

© Rike Oehlerking

Der Himmel über Beirut I

Von Pierre Jarawan 

Es beginnt mit einem simplen Metallrohr, etwas Schwarzpulver und sechs jungen Männern, die an einem Nachmittag Anfang der 1960er Jahren beschließen, eine Rakete zu bauen. Ihr Dozent sieht zu, wie sie das Metallrohr auf einer staubigen Freifläche irgendwo in den Bergen entzünden. Das Ding hebt tatsächlich ab – ein paar Meter nur, aber genug, um einen Traum zu entfachen – einer Reise zum Mond. 

So beginnt eine Geschichte, die zu unwahrscheinlich klingt, um wahr zu sein – und doch ist sie es. Es ist die Geburtsstunde eines libanesischen Raumfahrtprojekts, das heute fast völlig vergessen ist. Die Geschichte der „Lebanese Rocket Society“.

Heute bringen die meisten von uns den Libanon mit anderen Raketen in Verbindung. Wir denken an andere Bilder: Rauch über Städten, eingestürzte Häuser, Elend und Leid. Dabei existiert ein anderes Bild, eines, das kaum jemand kennt: eine offizielle Briefmarke aus dem Jahr 1963 zeigt den Mond und eine Rakete in den Farben der libanesischen Flagge. Sie stammt aus einer Zeit, in der der Himmel über Beirut kein Symbol der Bedrohung war, sondern des Aufbruchs.


Damals gründete der junge Physiker Manoug Manougian, Sohn armenischer Eltern, am Haigazian College in Beirut, ein Raketenprogramm. Das College war erst kurz zuvor gegründet worden – die erste armenische Hochschule im Nahen Osten. Manougian war erst Mitte zwanzig. Er hatte als Kind Science-Fiction-Romane geliebt und glaubte an das, was Forschung vermag: die Menschheit über sich hinauszuheben. 

Gemeinsam mit sechs Studenten – Nachkommen jener Armenier, die 1915 vor dem Genozid im Osmanischen Reich nach Beirut geflohen waren – begann er zu experimentieren. Zunächst mit primitiven Modellen, dann, nachdem das Projekt von Regierung und Militär unterstützt wurde, mit immer präziseren Flugkörpern, die sie nach dem libanesischen Nationalsymbol tauften, Cedar 1, Cedar 2, Cedar 3


Heute erzählen wir uns die Geschichte des Wettlaufs zum Mond als Zweikampf zwischen den USA und der Sowjetunion. Aber in Wahrheit war es für kurze Zeit ein Dreikampf. Am 4. August 1966 erreichte die Cedar 8 den Weltraum, und für einen Moment träumte der gesamte Nahe Osten davon, ein Araber könnte der erste Mann auf dem Mond werden.


Das Bild zeigt den Autor Pierre Jarawan.
© Maximilian Heinrich

Pierre Jarawan

wurde 1985 in Amman, Jordanien, als Sohn eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren. Er kam im Alter von drei Jahren nach Deutschland. Er studierte an der Münchener Hochschule für Fernsehen und Film. Seine Romane Am Ende bleiben die Zedern (2016) und Ein Lied für die Vermissten (2020) wurden mit Preisen bedacht, in zahlreiche Sprachen übersetzt und sind internationale Bestseller. Im April 2025 erschien sein neuer Roman Frau im Mond, mit dem er auf Einladung des Literaturhaus Bremen zu Gast bei der globale° 2025 war.

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