Eine (Bett-)Geschichte mit Rilke? Eine Affäre mit hundert Jahren Altersunterschied? Kann das gutgehen? Oh ja, wie betörend gut es gehen kann, zeigt Melanie Garanin in Mein Freund Rilke.
Ellen reist nach Worpswede, um für ein Magazin eine Story zum Rilke-Jubiläum zu verfassen. Sie hält nicht viel von dem angestaubten Dichter und die Aussicht auf ein Treffen mit „Rilke-Ultras“ hebt ihre Stimmung nicht gerade. Privat kriselt und knarzt ihre Ehe mit Volker. Statt von Frühlingsgefühlen wird ihr Alltag von Gehirnnebel und körperlicher Schwerkraft bestimmt.
Ellen stolpert auf ihrer „angerilkten“ Landpartie über den geheimnisvollen R., der zwar in Dauerschleife Rilke zitiert, gleichzeitig aber charmant, witzig und geheimnisvoll ist. Plötzlich prickelt die Recherche, und Ellen, die sonst immun gegen lyrische Räusche ist, beginnt, sich für Rilke zu interessieren.
Kurz darauf steht sie in Paris, ganz ohne Auftrag, aber mit wachsender Faszination für den Dichter. Was hat diesen Rilke ständig weitergetrieben? Warum musste er immer fort, konnte nichts festhalten? Dass Ellen im Musée Rodin zufällig wieder auf R. trifft, kann kein Zufall sein. Im Gespräch lösen sich ihre Fragen – und eine Ahnung bestätigt sich: R. ist Rilke. Ja, der Rilke. Und während Ellen noch über hundert Jahre Altersunterschied nachdenkt, ist sie längst mittendrin: in einer unmöglichen, aber sehr wahrhaftigen Affäre.
"Das ist mein Fenster. Eben
bin ich so sanft erwacht.
Ich dachte, ich würde schweben.
Bis wohin reicht mein Leben,
und wo beginnt die Nacht?“
(Aus Rainer Maria Rilke Die Liebende, zitiert nach Mein Freund Rilke)
Mein Freund Rilke ist eine großartig angelegte Graphic Novel, die Künstlerbiografie, Love-Story und Altersreflexion in einem ist. Melanie Garanin kombiniert darin ironisch-kritische Anmerkungen zum Rilke-Kult mit klug montierten Zitaten und biografischen Details. Mit ihren Sepia-Zeichnungen zeigt sie auch bildgestalterisch besondere Kennerschaft Rilkes. So wird der Jahrhundertdichter plötzlich greifbar, körperlich, geradezu gegenwärtig. Eine grafische und erzählerische Einladung, zu Rilkes 150. Geburtstag selbst ein kleines Abenteuer mit ihm zu wagen. Für Kenner*innen ebenso wie für Neulinge ein Vergnügen.
Stephanie Schaefers
MEIN FREUND RILKE | Melanie Garanin | GRAPHIC NOVEL Carlsen Verlag | Hamburg 2025 | 192 S. | €26,00
Rilke und die Kunst
Einen ebenfalls neuen Zugang zu Rilke präsentiert das Paula Modersohn-Becker Museum:
Im Dezember 2025 hätte Rainer Maria Rilke seinen 150. Geburtstag gefeiert. Mit der Ausstellung Rilke und die Kunst in der Reihe Short Stories würdigt das Museum in der Bremer Böttcherstraße daher den bedeutenden deutschsprachigen Lyriker. Sein Leben und Werk war auf vielfältige Weise mit dem von Paula Modersohn-Becker verwoben.
Die Ausstellung geht noch bis zum 18.01.2026.
Mehr zum Paula Modersohn-Becker Museum kannst du hier erfahren