Exil-P.E.N. im Wirrwarr der Geschichte

Der Exil-P.E.N.

entstand nach dem Vorbild des Centre for Writers in Exile: Hier wie dort schlossen sich geflüchtete Autor*innen zusammen. Im Exil-P.E.N. waren es zunächst Autor*innen aus osteuropäischen Staaten, insbesondere aus Ungarn und der Tschechoslowakei, die in der Bundesrepublik Deutschland Asyl gesucht hatten. Später kamen unter anderem Geflüchtete aus Russland, dem Iran, Syrien, Togo und Kuba hinzu. Der Exil-P.E.N. setzt sich für die Freiheit des Wortes und die Menschenrechte ein.

Porträt von Artur Becker
© Magdalena Becker

Mein persönliches Brevier

Von Artur Becker

Wolfgang Schlott, den Präsidenten des Exil-P.E.N. deutschsprachiger Länder im International P.E.N., kenne ich schon seit 1990. Damals, zu Anfang der wilden Neunzigerjahre, begann ich an der Universität Bremen mein Studium, und Wolfgang wirkte auf uns Student*innen erfrischend und jugendlich, da er seine Seminare unkonventionell und lebendig zu führen verstand – und das mochten wir alle; außerdem beschäftigte er sich oft mit der Jugendkultur und den neuesten Strömungen in der Kunst und Literatur, Musik und Architektur Osteuropas, und sein Wissen über die osteuropäischen Subkulturen (wer hätte damals gedacht, dass Olga Tokarczuk den Literaturnobelpreis bekommt?) imponierte uns sehr. Ich darf nicht verschweigen, dass ich 1997 meine Magisterarbeit über Czesław Miłosz´ Werk und vor allem seinen Kindheitsroman Das Tal der Issa unter Aufsicht von Professor Schlott schrieb und auch erfolgreich beendete.

Viele Jahre später wunderte es mich nicht, als mich mein ehemaliger Professor, inzwischen Präsident des Exil-P.E.N. geworden, fragte, ob ich nun auch Mitglied werden wolle. Ich sagte sofort zu, alleine aus dem Grunde, dass ich mich in all den gemeinsamen Jahren an der Bremer Universität solidarisch verpflichtet fühlte, aber auch deshalb, weil ich die Idee, Schriftsteller*innen und Intellektuellen nicht nur aus dem ehemaligen Ostblock, sondern aus allen anderen Ländern, in denen eine Diktatur herrscht, menschenmögliche Hilfe zu leisten, ganz einfach überzeugend genug fand.

Ich bin zwar seit meiner Aufnahme in den Exil-P.E.N.-Club kein vor Unternehmungslust strotzendes Mitglied, doch ich habe an einigen Veranstaltungen und Resolutionen teilgenommen, und es freut mich immer, wenn man sich zufällig trifft und über seine eigenen literarischen Projekte oder über Petitionen, Resolutionen und Briefe an die Regierenden zu sprechen kommt.


Der Exil-P.E.N. wurde zwar 1948 vom spanischen Schriftsteller und Diplomaten Salvador de Madariaga y Rojo gegründet, international bekannt geworden ist er aber vor allem durch den Protest geflüchteter Schriftsteller*innen und Journalist*innen aus den ehemaligen kommunistischen Staaten, speziell in den Jahren 1956 (Budapest) und 1968 (Prag). Der Club ist natürlich längst im 21. Jahrhundert angekommen, zumal in Ungarn oder Polen autoritäre Tendenzen leider wieder zum guten politischen Ton gehören, sodass 2017 der Exil-P.E.N. einen Brief beziehungsweise eine Resolution an den polnischen Kulturminister Piotr Gliński schrieb.

Die Frage also, ob der Exil-P.E.N. noch zeitgemäß sei, erübrigt sich eigentlich, liest man solche berechtigten Resolutionen. Leider werden autoritäre Tendenzen in unserer Zeit nicht schwächer oder kontrollierbarer; ganz im Gegenteil, sie gewinnen seit Jahren an Stärke, und der rechte und durch Verschwörungstheorien beeinflusste Wind bläst aus allen Ecken unserer Gesellschaft, sodass man sich berechtigte Sorgen machen muss.

Das Beispiel der schrecklichen Morde von Hanau, die ein wahnsinniger Rassist und Nationalist im Frühjahr 2020 begangen hatte, zeigt uns, was Terror von Rechtsextremen bedeutet. Aber auch in diesem Fall hat es eine entschiedene Reaktion des Exil-P.E.N. gegeben.

Der Exil-P.E.N. besitzt also wichtige Instrumente des öffentlichen Auftritts, er agiert stets selbstbewusst und mischt sich überall dort ein, wo Freiheitskämpfer*innen, Menschen des Wortes und der Kultur Schaden zugefügt wird. Und er ist aufgrund seiner Tradition international ausgerichtet, deshalb wird auch seiner Aufmerksamkeit und Sensibilität für die Menschenrechte nie entgehen, wenn einer öffentlichen Person oder einer transparenten Institution Unrecht geschieht, zum Beispiel durch die Zensur.


Zurzeit gibt es leider einen Militärputsch in Myanmar. Ich übersetze aus dem Englischen Gedichte des Dichters und Rechtsanwalts Di Lu Galay aus Yangon (einst Rangun), mit dem ich im bescheidenen WhatsApp-Austausch stehe, aber er berichtet leider nichts Erfreuliches aus seiner Heimat, und wir drücken ihm und seinen Verwandten und Freund*innen die Daumen. Wenigstens werden wir seinen Gedichtband in Deutschland veröffentlichen – dank der Zusammenarbeit mit Indra Wussow, der Kuratorin der Sylt-Fundation aus Johannesburg, und dem Lyrikverlag Parasitenpresse aus Köln, den der Lyriker Adrian Kasnitz leitet.

Täglich geschieht Menschen des Wortes, der Kunst und der Musik Unrecht in unserer Welt.

Es ist nur ein Beispiel unter vielen – täglich geschieht Menschen des Wortes, der Kunst und der Musik Unrecht in unserer Welt, das eigentlich oft vorhersehbar ist, da Diktaturen und autoritäre Mechanismen immer auf die gleiche Art und Weise funktionieren. Doch das Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem Bösen überwiegt dann meistens, aber genau von diesem Gefühl darf sich niemand „einlullen“ lassen, schon gar nicht ein Exil-P.E.N.

Im Fall des Militärputsches in Myanmar wird der Exil-P.E.N. sicherlich auch nicht schweigen, dessen kann man sich sicher sein. Denn beim Exil-P.E.N. geht es und wird es immer um die Menschenrechte und die Freiheit des geschriebenen und gesprochenen Wortes gehen – auch wenn wir westliche Menschen auf unserem Planeten eine schwierige Situation für Exilant*innen und Flüchtlinge geschaffen haben, denn durch den Klimawandel und die Globalisierung, wie auch durch die Rückkehr des autoritären und xenophobischen Denkens sind Exil-Orte in unserer Zeit rarer geworden. Im Prinzip hätten solche klassischen Exilanten wie Joseph Brodsky oder Czesław Miłosz, die vor 1989 in den USA trotz deren imperialen Charakters im sicheren Exil gewesen waren, heute keine Garantie, dass sie in Amerika wieder ihr Glück finden würden. Fluchtorte unserer Epoche sind fragil geworden und wurden teilweise durch virtuelle ersetzt. Auch Deutschland ist kein sicherer Ort mehr – deutsche Synagogen müssen von schwer bewaffneter Polizei bewacht werden, rechtsextreme Terrorist*innen bedrohen Ausländer*innen und Deutsche. Rassismus ist in Deutschland Alltag.

Nostalgie schleicht sich hier gar nicht ein, der Exil-P.E.N. wird auch in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts mit dem Strukturwandel der Exil-Orte fertig werden, der neue Alltag wird ihn zu dieser Metamorphose zwingen, und zwar wie immer im Namen der Freiheit, die im Wort besonders zerbrechlich ist.  

Artur Becker

wurde 1968 in Bartoszyce (Masuren)/Polen geboren. Bereits für sein erfolgreiches Lyrikdebüt Der Gesang aus dem Zauberbottich (1998) wurde er mit dem Autorenstipendium der Stadt Bremen ausgezeichnet. Der aus Polen stammende Autor, der 1985 nach Deutschland umsiedelte und in Bremen studierte, schreibt ausschließlich auf Deutsch – seiner Literatursprache. Sein literarisches Terrain umfasst jedoch nachhaltig die Region seiner Kindheit. Artur Becker schreibt Romane, Erzählungen, Gedichte und Aufsätze und ist auch als Übersetzer tätig.

Zum Autorenprofil von Artur Becker

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