Nachts auf der Kommandobrücke

Ein Schiff läuft in einen Hafen ein.
© Rike Oehlerking

Nachts auf der Kommandobrücke / Ansteuerung Hong Kong I
von William

Noch 24 Stunden bis Einlaufen Hongkong. Ich liebe diese Stadt, diesen Hafen, die Ansteuerung jedoch ist eine einzige navigatorische Herausforderung. Ringsum Lichter: Lichter von Schiffen, Fischerbooten, Leuchtfeuern, Fahrwassertonnen ...

Wie komme ich nur durch dieses Gewusel? Auf dem Radarschirm wimmelt es von Echos, kaum zu unterscheiden. Zudem dunkle Schatten: Fischerboote ohne Beleuchtung. Das Ganze hat ein bisschen was von einem Albtraum. 

Was um Himmelswillen ist das für ein dunkles Etwas vorne, am Bug, Steuerbord? Der ist doch keine 100 m entfernt! Zu spät zum Ausweichen. Verschwunden vor dem Bug, das geht nicht klar, da ist Nichts, was ich noch tun kann - nur hoffen, auf das Wunder, dass es irgendwie noch gut geht. Der Ausguck in der Nock, hat er ihn überhaupt gesehen? "No, Sir, I didn't  see a thing, sorry"... Uff, Schweißperlen, schreckliche Bilder rasen bruchstückhaft durch den Kopf: Habe ich ihn jetzt überrannt? Banges Warten, die Sekunden ticken - jede einzelne eine Ewigkeit... War das Alles nur Einbildung, Gespenster? 

Da: ein kaum wahrnehmbarer Schein, ein kurzes Aufflackern, schemenhaft, jetzt an Backbordseite. Wüstes Geschrei und Gejohle dringen nach oben zu mir auf die Brücke, erhobene Fäuste sind im roten Schein des Backbord Positionslichtes zu erkennen, als das unerleuchtete Fischerboot - noch nicht einmal - in 5 Meter Entfernung an der Bordwand vorbei dümpelt, nein: vorbeirauscht, immerhin fahren wir mit 18 Knoten. Unendliche Erleichterung. Das war mehr als knapp. Hier herrscht die unglückselige Praktik des "Geister Abhängens" : indem versucht wird, so dicht wie möglich den Bug eines Schiffes zu kreuzen, um imaginäre, verfolgende Geister "abzuschneiden". 

Nautiker stehen mit einem Bein immer vor dem Richter, im Gefängnis...

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