Satzwende: Finn-Ole Heinrich (2/2)

Kind mit Strohhut meldet sich
© Rike Oehlerking

Zwei Mal Theater II

Also! Ich war im Theater und zwar gleich zwei Mal innerhalb weniger Wochen, das kommt leider gar nicht so oft vor, weil… naja, ich eben jenen Vollzeitpraktikumsplatz habe, der wenig Raum für kulturelle Highlights lässt. Noch. Alles nur eine Phase, jaja.

Zuerst war ich in einem renommierten Berliner Kinder- und Jugendtheater, wo ein renommiertes Künstlerkollektiv mit ihrer „Cloud Performance ab 12 Jahren“ zu Gast war. Offenbar ihre erste Produktion für ein junges Publikum. Wir waren gespannt – und wurden jäh enttäuscht. So jäh, dass wir nach zwei Dritteln der Show gehen mussten. Sorry, schlicht zu scheiße. Was war das Problem?


Klar: Ich habe den Adultismus im Verdacht. Hat da jemand bei der Entwicklung vielleicht gedacht: Och, naja, ist ja nur für Kinder? Da sollte der Müll hier schon reichen. Es fing schlimm an und das fand ich noch interessant, vielleicht würde mit den Erwartungen gespielt, das eigene Erzählmanöver unterlaufen oder warum stellte sich da jemand vor uns hin und tat mega gelangweilt und genervt und las unmotiviert von irgendwelchen Zetteln ab? Leider wurde gar nichts unterlaufen und in Frage gestellt, das war purer Ernst.

Als es richtig los ging, mussten wir uns alle ein Smartphone um den Unterarm schnallen und bekamen es mit angeblichen gamemasters aus dem worldwideweb zu tun. Ab und zu musste man Eingaben machen, die dann ausgewertet wurden und das Gefühl von Interaktivität vermitteln sollten. Die Idee war wahrscheinlich: Diese jungen Leute hängen doch immerzu am Handy, wollen zocken und finden dieses Internetz spannend. Da wanzen wir uns ran und imitieren das hier irgendwie ungelenk für die Bühnensituation. Das alles ist nur insofern der Rede wert, als es ein Symptom eines systemischen Problems darstellt. Nichterwachsene werden viel zu oft auch von Kulturschaffenden nicht ernst genommen.


Zum Glück war kurz darauf Body Boom Boom Brain von Pinsker & Bernhardt zu Gast auf dem AugenblickMalFestival. Wenn man einen extrem schlechten Pressetext würde schreiben wollen, könnte man behaupten: ein Theaterstück für Jugendliche zum Thema Pubertät - und hätte irgendwie Recht. Puh, wie leicht das hätte schief gehen können! Aber weil da eine wirklich inspirierte und inspirierende Truppe am Werk war, die Bock hatte, die Ideen hatte, die zumutete, irritierte, unterhielt, sich selbst aus der Komfortzone wagte, immer wieder den Kontakt zum Publikum suchte und merkwürdigste Bühnenvorgänge bis zur Schmerzgrenze ausspielte und kleine, magische Momente schuf, weil da Leute waren, die das Publikum nicht für minderbemittelt hielten, ging das völlig absurde Setting (Das Theater ist in der Pubertät, wir wissen jetzt auch nicht so genau, warum, aber über die Bühne und durch den Zuschauerraum zieht sich ein circa 20 Meter langes Schamhaar. Das zerstört jetzt erstmal unseren Plan, aber wir fangen jetzt trotzdem irgendwie an zu spielen) nicht nur auf, sondern ließ einen ausverkauften Saal jubelnd, irritiert und verzaubert zurück. Das war wunderbar und zeigte nur noch mal, was alles möglich wäre und natürlich auch schon längst ist.

Lasst uns bitte Mut haben, lasst uns die geilen Geschichten erzählen, lasst uns uns verabschieden von der Idee, Kinder müssten erzogen werden, auf dass sie irgendwann komplett würden. Kinder sind da und nicht defizitär und ihr Blick auf, ihre Fragen an diese Welt sind nicht weniger wert als die der Erwachsenen, ihre Perspektive kann auch für Erwachsene eine wesentliche Bereicherung darstellen.

Lasst uns bitte Mut haben, lasst uns die geilen Geschichten erzählen, lasst uns uns verabschieden von der Idee, Kinder müssten erzogen werden, auf dass sie irgendwann komplett würden.

Beim Rausgehen aus der Spielstätte fiel mir dann noch so eine Art Manifest einer Kinderrechtsgruppe in die Hände. Kinder haben dort Antworten auf adultistische Verhaltensweisen und Aussagen von Erwachsenen formuliert. Um sich zu vergewissern und Gleichaltrige zu bestärken und zu inspirieren. Let’s go this way. Stellt euch vor, wir würden diesem Diskriminierungsausbildungsmechanismus einen heftigen Knacks versetzen - indem wir einfach geilere Geschichten erzählen.

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Porträtfoto vom Autor Finn-Ole Heinrich.
© Denise Henning

Finn-Ole Heinrich

wurde 1982 geboren und wuchs in Cuxhaven auf. Bevor er in Hannover Filmregie studierte, absolvierte er seinen Zivildienst in Hamburg und las in dieser Zeit einem Mann neun Monate lang Tag für Tag die Zeitung vor. Als Autor debütierte Heinrich mit dem Erzählband die taschen voll wasser (2005). Frerk, du Zwerg! (2011) war Heinrichs erster Kinderroman, auf den unter anderem die Trilogie Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt (2013–2014) folgte. Zuletzt erschien Bosco Rübe rast durchs Jahr (2022) von Finn-Ole Heinrich und Dita Zipfel. Heinrich wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Kranichsteiner Literaturförderpreis (2008), dem Deutschen Jugendliteraturpreis (2012), dem Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis (2014) und dem LUCHS von der ZEIT und Radio Bremen. Für seine Arbeit als Drehbuchautor wurde er 2018 mit dem Thomas-Strittmatter-Preis ausgezeichnet. Er lebt als freier Autor in Hamburg und Südfrankreich. Im Juli ist er zu Gast beim Kinderlesefestival Galaxie der Bücher in Bremen.

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