Satzwende: Mohamed Amjahid (2/2)

Ein USB-Stick mit einem Post-It.
© Rike Oehlerking

Bilder, die ich nicht mehr aus dem Kopf bekomme

Von Mohamed Amjahid

In meinem Bücherregal liegt ein USB-Stick hinter einer Bücherreihe. Ich habe ihn dort mit Absicht versteckt. Vor wenigen Tagen habe ich den Datenträger auf der Suche nach einem Buch wiederentdeckt. Als ich ihn in der Hand hielt, lief es mir kalt den Rücken herunter. Erst spät nachts konnte ich endlich vor Erschöpfung einschlafen, doch ein Albtraum holte mich ein: Auf dem Datenträger liegt das Video, das der Attentäter von Halle während seines Terroranschlags im Oktober 2019 aufgenommen und live ins Internet gestreamt hatte. Ich muss mir dieses Dokument des Grauens nicht nochmal anschauen, es hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Niemals werde ich den Moment vergessen, wie er kaltblütig den 20-jährigen Kevin S. im „Kiez Döner“ erschießt. Der Attentäter wollte Jüdinnen*Juden und Muslime töten, er hat stattdessen Kevin S., Mitglied einer rechtsgerichteten Fußball-Ultra-Gruppe, niedergestreckt. 

Gewalt dominiert die Menschheit. Und damit auch mein Leben. Mein journalistischer Alltag ist von Gewalt geprägt. Viele Fälle von purer physischer Gewalt begleiten mich seit Jahren. Sie sind krimineller oder terroristischer Art, aber es geht auch um Gewalt, die von Staaten legitimiert gegen Menschen verübt wird: Diese Fälle landen auf meinem Schreibtisch, als Videos, Ermittlungsakten, detaillierte Zeugenaussagen. Meine Aufgabe ist es, diese Angaben gründlich zu prüfen und darüber zu berichten.


In meiner Laufbahn als Reporter im In- und Ausland habe ich schon viele verstörende Bilder gesehen: Fassbomben des Assad-Regimes, die in Syrien Kinderkörper zerfetzen, wahllose Gewalt gegen Zivilist*innen im Gaza-Streifen, die vor Kameras um ihr Leben flehen, ausgehungerte Körper, die im Sudan schwer nach Luft schnappen. Doch nicht nur der Krieg – als wäre dieser nicht schlimm genug – bringt das Schlechte im Menschen hervor. 

Um die Ecke lauert ebenfalls die Lust an der Gewalt: deutsche Polizist*innen, die auf den Gesichtern von friedlichen und schmerzgelähmten Demonstrant*innen knien bis manchmal ihr Atem aussetzt. Stoisch schaue ich mir die Videos dazu an, lese mir die Akten durch. Manchmal, und das gebe ich zu, ohne zu reflektieren, dass ich noch Jahre später diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekomme. 


Oft werde ich gefragt, wie ich das alles aushalte. Immer sage ich: darüber schreiben verleiht dieser sinnlosen Gewalt zumindest etwas Erkenntnis. Ich will diese Gewalt markieren, sie als Beweisführung beschreiben, wie wir gemeinsam einen Weg aus dieser Misere finden. Das ist für mich die effektivste Therapie. Wie lange ich das noch aushalte, steht aber auf einem anderen Blatt. 


Weiterlesen: