Das Banach-Tarski-Paradoxon zeigt, dass es mathematisch möglich ist, eine ausgefüllte, dreidimensionale Kugel in Einzelteile zu zerlegen und nachher diese Einzelteile derart wieder zusammenzusetzen, dass zwei ausgefüllte Kugeln entstehen: Zwei Kugeln der gleichen Größe wie die Ausgangskugel, ganz ohne Zwischenräume.
Die Kugel verdoppelt sich durch das Zergliedern, es kommt also Volumen aus dem Nichts. Das ist intuitiv falsch und in der realen Welt nicht möglich.
Im mathematischen dreidimensionalen Raum aber geht das. Die Teile, in die die Kugel zerlegt werden muss, um zu zwei Kugeln zusammengesetzt werden zu können, sind so zackig und zerfranst, wie sie es in der physischen Welt nicht sein können. Das sind Einzelteile, die man weder zeichnen noch greifen, nachbauen oder irgendwie denken kann. Sie haben verschmierte Kanten, sind zwischendimensionale Teile eines dreidimensionalen Raums. Sie sind unmöglich – weil unendlich – komplex.
Wurde aus der einen Kugel zwei Kugeln, dann können auch diese zwei Kugeln durch Zergliedern und Zusammensetzen zu jeweils nochmal zwei Kugeln gemacht werden. Es sind dann vier.
Sobald wir anfangen, etwas aufzudröseln, sobald wir ein Ganzes sezieren und zerlegen, können störrische, zackige, eigentlich gar nicht mögliche Teile dabei herauskommen, die in alle Richtungen überschießen. Sie werden zu zwei, vier, acht, sechzehn Ganzen. Denken wir uns selbst als Sammlung einzelner Teile und beginnen wir, diese einzelnen Teile zu betrachten – das Kind unserer Eltern – das Elternteil unseres Kindes – kann es sein, dass das ursprünglich gedachte Ganze diese Teile nicht mehr halten kann. Ist das schlimm?
Das Ganze ist weniger als die Summe seiner Teile. Unsere Teile sind ausufernd. Sie quellen über, sobald sie in die Form eines runden Ganzen gebracht werden sollen. Das geht nicht zusammen.
Paola Lopez
wurde 1988 in Wien geboren, ist Mathematikerin und promoviert interdisziplinär über Künstliche Intelligenz. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen und schreibt für den Merkur eine Kolumne zu KI. Für die Arbeit an ihrem Debütroman Die Summe unserer Teile wurde sie mit dem Theodor Körner Preis 2023 gefördert. Paola Lopez lebt in Berlin.
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