Was 2020 wegen Corona als virtuelle Schreibwerkstatt begann, ist heute ein fester Termin im Monat: die Offene Schreibzeit, die vom Bremer Literaturkontor veranstaltet und von Jutta Reichelt geleitet wird. Die Bremer Autorin schafft dabei einen Raum für alle, die schreiben möchten – ganz unabhängig von Erfahrung oder Genre. Im Gespräch mit Stephanie Schaefers spricht Jutta Reichelt über die Idee dieses besonderen Formats und die Kraft des gemeinsamen Schreibens.
Liebe Jutta, wenn wir an schreibende Menschen denken, haben wir oft das Bild vor Augen, dass sie allein und zurückgezogen schreiben. Ist Schreiben tatsächlich eine einsame Tätigkeit?
Natürlich ist Schreiben eine Tätigkeit, die man in der Regel alleine ausübt. Teamarbeit oder so genanntes „kollaboratives Schreiben“ sind im Bereich des kreativen und literarischen Schreibens noch immer die Ausnahme. Und das ist gerade am Anfang für viele eine große Herausforderung. Wer zu schreiben beginnt, benötigt Mut, denn angesichts des leeren Papiers kommen fast immer Zweifel auf: Vielleicht fällt mir nichts ein? Oder nichts Gutes? Und dann stehen viele schnell wieder auf und machen etwas anderes.
Und das ist dann der Moment, in dem deine Offene Schreibzeit einsetzt, oder?
Genau. Es gibt unterschiedliche Wege, damit umzugehen. So gibt es beispielsweise auch professionelle Autor*innen, die lieber in Cafés schreiben - umgeben von Menschen und Geräuschen. Manche verabreden sich auch (manchmal virtuell) mit anderen Schreibenden. Und so eine Verabredung zum gemeinsamen Schreiben ist auch die Offene Schreibzeit. Es geht zunächst vor allem darum: Die Anwesenheit der anderen für das eigene Schreiben nutzen.
Gemeinschaft spielt also eine wichtige Rolle beim Schreiben? Förderst du den Austausch unter den Teilnehmenden zusätzlich?
Für mich ist eine wichtige Erkenntnis, dass sich Menschen auch beim Schreiben in allen denkbaren Weisen unterscheiden. Es gibt eine ganze Reihe von Teilnehmer*innen, die kommen für ein, zwei Stunden, schreiben an ihrem Text und gehen dann wieder. Andere sind sehr interessiert an Resonanz und Austausch und wünschen sich eine Reaktion auf das, was sie geschrieben haben. Das muss keine tiefgehende literarische Analyse sein. Oft reicht der Hinweis auf ein Gefühl, das ein Text auslöst, oder auf ein Detail oder einen Satz, der nachklingt. Mich freut dabei sehr, wie wertschätzend die Teilnehmer*innen der Offenen Schreibzeit miteinander umgehen, ohne dass ich viel dafür machen müsste.
Wie läuft ein typisches Treffen in deiner Offenen Schreibzeit ab?
Die Offene Schreibzeit findet einmal im Monat statt. Zwischen 16 und 18 Uhr können Interessierte kommen und gehen, wie es für sie passt. Wer möchte, kann zwischendurch einen Kaffee trinken gehen und später wieder dazustoßen. Viele bringen schon begonnene Texte oder Ideen mit, andere lassen sich von mir Schreibanregungen geben. Ich finde es oft einen guten Einstieg, etwas mit den Händen zu tun, zum Beispiel kleine Zines (Hefte) zu machen. Davon habe ich eigentlich immer welche dabei und zeige, wie man sie faltet. Um 18:30 Uhr treffen sich dann alle, die Lust auf Austausch haben. Einzelne Texte werden vorgelesen und wir sprechen über allgemeine Fragen rund ums Schreiben. Da inzwischen bis zu 30 Personen teilnehmen, ist es leider nicht möglich, alle Texte vorzulesen oder gar ausführlich zu besprechen.
Welche Themen oder Anliegen bringen die Teilnehmer*innen mit?
Das sind die klassischen Fragen, die eigentlich in jeder Werkstatt auftauchen: Wie kann ich es schaffen, häufiger zu schreiben? Wie kann ich eigene Ideen entwickeln? Wie kann ich lernen, besser zu schreiben?
Was rätst du Menschen, die gern mit dem Schreiben anfangen möchten, sich aber noch nicht trauen, an einer Offenen Schreibzeit teilzunehmen?
Ich kann nur ermutigen: Fang einfach an zu schreiben! Am Anfang geht es wirklich nur darum, es zu tun. Es ist vollkommen egal, was man schreibt. Einzelne Worte, vollkommen diffuse Ideen für eine Figur, erste Sätze, von denen man nicht weiß, ob sie irgendwohin führen. Schreib drauflos, ohne zu viel darüber nachzudenken und schau, wo die Schreibfreude dich hinzieht – die ist nämlich ein erstaunlich guter Kompass.
Was verändert sich beim Schreiben, wenn man es nicht allein, sondern in Gemeinschaft tut?
Wenn alle gleichzeitig schreiben oder zumindest über das Papier oder ihren Laptop gebeugt sind, entsteht eine konzentrierte Atmosphäre, die viele Menschen als sehr angenehm empfinden. Und weil literarische Texte ja oft von den großen „Lebensthemen“ handeln, sind Schreibwerkstätten eigentlich immer auch Orte, an denen wir uns halbwegs entspannt über die großen Fragen des Lebens austauschen können. Ich finde, dass es noch viel mehr Orte geben sollte, an denen das möglich ist und an denen wir dadurch – wie nebenbei – auch der grassierenden Einsamkeit etwas entgegensetzen können.
Das hört sich alles sehr positiv an, gibt es auch etwas, das (noch) nicht so gut funktioniert?
Ja, das gibt es und es macht mich auch wirklich unfroh. Leider findet die Offene Schreibzeit im ersten Stock der Villa Ichon statt. Es gibt zwar eine tolle Atmosphäre, aber keinen barrierefreien Zugang. Das wird sich zum Glück ändern – aber erst mit dem Umzug ins Stadtmusikantenhaus.
Vielen Dank für diesen inspirierenden Einblick in gemeinsames Schreiben.