Lesetipp aus der Redaktion: Quell der Einsamkeit

Im Roman Quell der Einsamkeit von Radclyffe Hall geht es um ein englisches Mädchen namens Stephen und ihre Erfahrungen mit Einsamkeit, Identität und gesellschaftlichen Normen. Das Buch ist revolutionär, da es eines der ersten Bücher der englischen Literatur war, das nicht nur Homosexualität thematisierte, sondern dies auch zu entstigmatisieren versuchte.

Kurz nach der Veröffentlichung wurde das Buch stark kritisiert. Ein britisches Gericht verbot den Roman, weil er gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Frauen unterstützte. Erst zwanzig Jahre später, im Jahr 1949, durfte das Buch in England wieder veröffentlicht werden. 

Buchcover mit einer Fotografie zwei nahestehender Frauen

Das Buch beginnt noch vor Stephens Geburt, wobei ihr Name bereits feststand, da sich ihre Eltern einen Jungen wünschten. Dies prägt die gesamte Erzählung, denn Stephen fühlt sich nicht nur unwohl mit typischen weiblichen Aktivitäten und Eigenschaften, sondern entwickelt auch romantisches Interesse an Frauen. 
Bereits in jungen Jahren fühlt sie sich zur Hausangestellten hingezogen und empfindet tiefen Schmerz, als sie sieht, wie sie einen Mann küsst. Stephen hat keine enge Beziehung zu ihrer Mutter, aber sie steht ihrem Vater nahe, der sich bemüht, sie zu verstehen. Als er ihre Homosexualität vermutet, wendet er sich der Literatur zu, um mehr darüber zu erfahren. Erst nach seinem Tod findet Stephen die Bücher und wird zum ersten Mal direkt mit ihrer eigenen Homosexualität konfrontiert. 
 


Im Laufe der Geschichte trifft sie verschiedene Menschen, darunter einen männlichen Freund, zu dem sie eine enge Freundschaft aufbaut. Doch als dieser ihr seine Gefühle gesteht, fühlt sich Stephen unwohl, und die Verbindung zerbricht. Auch ihre erste geheime romantische Beziehung scheitert, nachdem diese an die Öffentlichkeit gebracht worden ist. 

Anschließend zieht Stephen nach London und beginnt dort, Bücher zu schreiben. Das erste Buch wurde erfolgreich, doch das nächste leider nicht. Auf Empfehlung eines Freundes geht sie nach Paris, um neue Ideen zu sammeln. Dort lernt sie andere lesbische Frauen kennen und fühlt sich zum ersten Mal wirklich verstanden. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, arbeitet sie als Sanitäterin an der Front und wird dafür ausgezeichnet. In dieser Zeit verliebt sie sich in Mary, mit der sie nach dem Krieg zusammenlebt. Anfangs sind sie glücklich, doch mit der Zeit wird die Beziehung schwieriger. Mary fühlt sich oft einsam und ausgeschlossen, während Stephen immer mehr daran zweifelt, ob sie Mary wirklich glücklich machen kann. 


Mit einem fesselnden und schönem Schreibstil zeigt der Roman, dass man sich auch dann einsam fühlen kann, wenn man von Menschen umgeben ist. Vor allem, wenn man das Gefühl hat, dass niemand einen wirklich versteht. Das Buch spricht außerdem die Themen Ausgrenzung und Ungerechtigkeit an und zeigt, wie diese das Leben und das Gefühl der Isolation verstärken können, selbst wenn man Teil einer Gruppe ist. Damals schon fortschrittlich, verdeutlicht diese Erzählung, dass Queer-Sein etwas Natürliches ist. Somit ist das Buch bis heute noch relevant.

QUELL DER EINSAMKEIT | Radclyffe Hall | Verlag Krug & Schadenberg | 2015 (Englisches Original: 1928) | 540 S. | € 9,99

Foto des Literaturhauses Bremen von außen
© Carmen Fernandez

Michelle Bosnak

ist die derzeitige Praktikantin im Bremer Literaturhaus und Bremer Literaturkontor. Sie ist vor 3 Jahren für ihr Englisch- und Kulturwissenschaftsstudium aus einem kleinen Dorf neben Osnabrück in das große Dorf Bremen gezogen. Am liebsten liest sie Klassiker von Autoren wie Dostojewski oder Tolstoy, aber ab und an vertieft sie sich auch gerne in Fantasy-Büchern. Momentan strebt sie ihren Bachelorabschluss an und daraufhin den Master.

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