Nein, über die Brücke nicht, sage ich, eine leise Warnung.
Mit meiner rechten Hand versuche ich dein Gesicht zu fassen, suche deinen Körper. Meine Gedanken hängen noch im Traum. Die Brücke gibt es nicht, rufe ich, innerlich. Vielleicht rufe ich es laut. Es ist nichts zu hören. Meine Finger fühlen ins Leere, Jahre schon. Viele Träume wühlten sich unter Decken, ungeteilt. Der Körper verharrt unberührt.
Das macht nichts, flüstere ich in den Raum, ich träume sowieso schlecht.
Alleinsein macht mir keine Angst. Es zu bleiben besorgt mich. Ich zähle nicht in Tagen, ich zähle in verpassten Umarmungen. Mit Bedacht setze ich meine Füße voreinander. Der dunkle Flur ist berechenbar, die Schritte unnötig vorsichtig bis zur Küche. Der Wasserkocher lärmt. Oh Nein, murmle ich, als würde es jemanden stören, als ginge es hier nicht nur um mich. Durch die geschlossene Küchentür dringt kein Geräusch in die leere Wohnung.
Der Tee dampft. Was, wenn die Leere zur Gewohnheit wird, frage ich mich, stelle das Heißgetränk in sicherer Entfernung ab.
In der Nachbarschaft wird ein Licht angemacht. Meine Aufmerksamkeit liegt ungeteilt auf dem Haus gegenüber. Dort hat jemand Angst. Wer nachts Licht anmacht, fürchtet die Einsamkeit. Meine in Dunkelheit gekleidete Überlegenheit spiegelt sich als trauriges Bild in der Fensterscheibe wider. Das bin ich, auf fremde Haushalte schauend. Gliedmaßen aus einem zu großen Pullover ragend, ein Kopf, sonst nichts. Im Wohnzimmer bleibe ich, bis das Licht des Nachbarn ausgeht.
Achthundertzweiundvierzig verpasste Umarmungen. Ich erinnere mich an meinen Traum, suche, auch in dieser Nacht, nach Wegen, wo keine sind. Schlafe ein, wo niemand ist.
Abwesenheit ist schwer zu ertragen. Sie kann nicht aktiv bekämpft werden, wie die Anwesenheit einer unerwünschten Person. Besser in Ruhe leben, als dauerhaft angespannt bedeutende Räume zu teilen. Das stimmt. An Tag 1 stimmt es, auch an Tag 100. An allen weiteren Tagen stimmt es auch noch. Nur die Erleichterung weicht einer Bedeutungslosigkeit.
Der Körper erwacht wenige Stunden später mit Schwächen. Ein Stechen in der Brust, ein Zucken im Finger. Zusammengeschnürte Sorgen, nichts, was eine Umarmung nicht lösen könnte. Ich sammle die Stille in den Räumen am Morgen. Am Tag, unter Menschen, lächeln und es ehrlich meinen. Bei manchen von ihnen lese ich es auch im Gesicht. Vielleicht werde ich es ihnen noch sagen: Meidet in der Nacht Brücken und Licht!
Laura Heimann
wurde 1988 in Soltau geboren, sie zog im Januar 2022 von Berlin nach Bremen, um dem Norden, der Familie und Freund*innen wieder näher zu sein. Von 2016 bis 2020 studierte sie Deutsche Literatur an der Humboldt Universität in Berlin. Sie schreibt Lyrik und Prosa und hat bereits Texte in unterschiedlichen Literaturzeitschriften der D-A-CH Region veröffentlicht.
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