Hedwig M. Binder im Interview

Der Woman in Translation Month findet seit 2014 jährlich im August statt und soll auf Autorinnen aufmerksam machen, deren Werke in andere Sprachen übersetzt wurden oder werden. Da es beim WiT-Month gleichzeitig um die Herausforderungen des literarischen Übersetzens geht, haben wir uns mit der Bremerhavener Übersetzerin Hedwig M. Binder ausgetauscht und spannende Einblicke in ihre Arbeit erhalten.

Das Bild zeigt eine deutschsprachige Übersetzung von Kerstin Ekman vor einer Schreibmaschine
© Stephanie Schaefers

Frau Binder, wie sind Sie zum literarischen Übersetzen gekommen?

Ich habe mein Skandinavistik-Studium mit einer Examensarbeit über Kerstin Ekman abgeschlossen. In Deutschland war diese schwedische Autorin damals wenig bekannt, auch wenn im Westen drei ihrer frühen Krimis und im Osten zwei weitere ihrer Werke übersetzt waren. Ich war so überzeugt von ihren Texten, dass ich sie gerne übersetzen wollte. Zu Beginn habe ich zahlreiche Verlage angeschrieben, die Autorin und mich als Übersetzerin vorgestellt. Nach zweieinhalb Jahren hatte der Neue Malik Verlag in Kiel endlich Interesse und 1988 konnte meine erste Übersetzung von Kerstin Ekman dort erscheinen.

Und was hat Sie an diesem Beruf angesprochen bzw. begeistert Sie immer noch?

Der große Reiz besteht für mich darin, direkt mit Sprache zu arbeiten und einen literarischen Text adäquat aus einer anderen Sprache in meine eigene zu übertragen. Es ist eine sehr beglückende Arbeit, aber auch eine einsame und erfordert daher einige Disziplin.

Hat sich Ihr Berufsalltag innerhalb der letzten Jahre gewandelt? 

Ich bin nun schon lange Übersetzerin, und in dieser Zeit haben sich vor allem die technischen Möglichkeiten zur Übersetzung und Recherche stark verändert. Meine ersten Bücher habe ich noch auf der Schreibmaschine getippt. Außerdem bin ich oft von Bremerhaven in die Bremer Universitätsbibliothek gefahren, um in Fachliteratur und speziellen Wörterbüchern zu recherchieren, die ansonsten nicht zugänglich waren. Eine große Hilfe und Inspirationsquelle sind außerdem nach wie vor Arbeitsaufenthalte am Europäischen Übersetzerkollegium in Straelen mit seiner umfangreichen Bibliothek und der Gelegenheit zum Austausch mit Kolleg*innen aus aller Welt. Dank Internet verläuft die Recherche mittlerweile natürlich viel einfacher. Was sich allerdings wenig gewandelt, ja eher verstärkt hat, ist der Zeitdruck, unter dem Übersetzungen manchmal angefertigt werden müssen.


Der große Reiz besteht für mich darin, direkt mit Sprache zu arbeiten und einen literarischen Text adäquat aus einer anderen Sprache in meine eigene zu übertragen.“


Womit wir beim Thema Wertschätzung von Übersetzer*innen wären, wie sieht es da aus?

Da ich Übersetzerin im Bereich der so genannten „kleinen Sprachen“ bin, ist die Branche etwas überschaubarer und eventuell weniger konkurrenzbezogen. Der Markt ist ständig in Bewegung und nicht unbedingt übersichtlicher geworden. Als positive Neuerung ist zu nennen, dass einige Verlage nun die Übersetzerinnen auf dem Cover erwähnen. Übersetzerinnen werden mittlerweile fast immer auf dem Titelblatt genannt, oft auch im Klappentext vorgestellt und in Rezensionen erwähnt. Das empfinde ich als Wertschätzung. 

Sie sind spezialisiert auf skandinavische Autor*innen. Welche besonderen Herausforderungen begegnen Ihnen bei der Übersetzung ins Deutsche?

Mir ist zum Beispiel oft aufgefallen, dass schwedische Autor*innen starke Naturbezüge haben. Daher habe ich schon immer sehr viele Pflanzennamen recherchieren müssen und blicke nun selbst anders auf die Natur. Das sehe ich allerdings eher als spannenden Zusatzgewinn und nicht als Herausforderung.

 

Gibt es bestimmte sprachliche oder kulturelle Aspekte, die bei weiblichen Perspektiven besonders ins Gewicht fallen? Wie beeinflusst das Geschlecht der Autor*in Ihre Herangehensweise an den Text – sei es in der Sprache, im Ton oder in der Darstellung von Figuren?

Für mich steht der Text im Zentrum, das Geschlecht der Person, die ihn geschrieben hat, spielt für mich eine sekundäre Rolle.

Gibt es ein Werk einer skandinavischen Autorin, das Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist – sprachlich, thematisch oder wegen der Übersetzungsarbeit selbst?

Da muss ich nicht lange nachdenken: Kerstin Ekman natürlich. Ich habe fast zwanzig Werke von ihr übersetzt. Bereits beim ersten Band ihrer Vallmsta-Tetralogie hat mich die Perspektive arbeitender Frauen im kleinstädtischen Kontext fasziniert. Aber Ekman hat zum Beispiel auch eine Geschichte über einen Troll geschrieben, die mich ebenso gepackt hat. 

 

Das Bild zeigt verschiedene Bücher der schwedischen Autorin Kerstin Ekman in deutscher Übersetzung von Hedwig Binder
© Stephanie Schaefers

Zum Schluss noch eine Frage, die weniger mit dem Übersetzen zu tun hat: Sie sind in Süddeutschland geboren und aufgewachsen, leben aber seit langer Zeit in Bremerhaven. Was schätzen Sie an dieser Stadt?

Ich lebe gern in Bremerhaven. Die Stadt hat eine angenehme und überschaubare Größe. In der Innenstadt und den Havenwelten wird auf engem Raum kulturell viel geboten. Aber nicht nur dort, sondern zum Beispiel auch im Viertel um die Alte Bürger oder mit dem TiF und dem Figurentheater im Fischereihafen. Grundsätzlich ist die Nähe zum Wasser in Bremerhaven einfach toll.

Vielen Dank, auch für diesen inspirierenden Einblick in Ihre Tätigkeit als Übersetzer*in.

Hedwig M. Binder 


studierte an der Universität Göttingen Skandinavistik, Soziologie und Geschichte. Seit 1987 lebt sie als freie Übersetzerin in Bremerhaven. Sie übersetzt Belletristik und Sachbücher aus dem Schwedischen, Norwegischen und Dänischen ins Deutsche.

Hier geht es zur Website von Hedwig M. Binder. 

Weitere Infos zum WiT-Month gibt beispielsweise beim Verband deutschsprachiger Übersetzer*innen (VdÜ)

 

Das Bild zeigt Hedwig M. Binder
© privat

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