LitKo-Schreibwerkstatt für junge Autor*innen
Die Litko-Schreibwerkstatt für junge Autor*innen unter der Leitung von Laura Müller-Hennig findet zur Zeit online statt. Interessierte Jugendliche (ca. 14 bis 19 Jahre) können an jedem 2. und 4. Donnerstag im Monat an einem gemeinsamen Online-Meeting teilnehmen. Mitmachen können alle, die Lust am Schreiben haben, ganz unabhängig von der Textform. Ob Kurzgeschichten, Gedichte, Miniaturen, Songtexte oder anderes – alles ist möglich.
Mary versinkt in ihrem Wasserglas, wie schon oft heute. Ob der Rand einen kreisförmigen Abdruck auf ihren Wangen hinterlassen hat? Der Morgen ist viel zu schön, um hier zu sitzen, den Hut so weit nach vorne gezogen, dass er gerade keinen Schatten auf ihre Augen wirft, einzelne Locken kringeln sich heraus, feucht von der Morgenluft. Mary wünschte, er würde sie ganz verdecken, sie wünschte, sie könnte ihn einfach über ihre Augen ziehen, damit sie nur noch die Dunkelheit in seinem Inneren spüren müsste und die Gespräche zu einem Rauschen verschwimmen lassen könnte. Sie wünschte, sie müsste nicht antworten, wenn sie mit ihr reden, wenn sie ihre Bedeutungslosigkeiten erzählen mit der Begeisterung, die nur die größte Dichtkunst und die romantischte Poesie verdient hätten. Nicht das Wetter, das mal wieder viel zu heiß ist, oder das Essen, das ein wenig zu fad schmeckt. Mary will stumm bleiben, denn wenn sie nicht schreien darf, warum dann sprechen, sie möchte singen, nicht in gemäßigtem Tonfall kokett lächelnd immer nur die schlechten Seiten des Lebens beleuchten. Sie ist nicht gemäßigt, zu dramatisch, das Leben ist Theater, also warum nicht spielen, warum Gefühle in sich hineinfressen, wenn sie zu Kreativität werden können? Die einzig Gleichgesinnte ist ihr Spiegelbild am Boden des Glases, verzerrt und so viel schöner als die Realität, wenn die leichten Wellen es in Teile spalten. Mit der Hand beschreibt sie ein paar Kreise, das Spiegelbild verändert sich, was ist sie jetzt? Mary versucht, es zu erkennen, eine Sängerin, Dichterin, Komponistin? Oder ist sie weiterhin die Schauspielerin auf der ewigen Bühne des Brunchens auf Booten, die nie das Meer sahen, und Tischen, auf denen nie jemand barfuß stand und ein Gedicht in die Welt schrie? Würde sie diese Gedanken jemandem erzählen, würden sie sie verrückt nennen, zum Doktor schleifen. Aber diese Diagnose kann Mary selber stellen: Hysterie. Wie bei jeder Frau, die mehr sein will als Ehefrau und Mutter. Niemand versteht sie. Beruht auf Gegenseitigkeit. Was für eine Ironie. Sie setzt das Glas ab und ein Lächeln auf.
„Ich finde das Wetter ganz hervorragend.“
Poetische Gedanken haben beim Frühstück nichts zu suchen.
Hilke Humrich
ist 2010 in Bremen geboren. Sie geht in die zehnte Klasse, denkt sich bereits seit dem Kindergarten kürzere Geschichten aus und widmet sich seit einiger Zeit auch Gedichten. In ihren Texten verbindet sie persönliche Gedanken mit Gefühlen und Sprache.
Hilkes Gedicht Stadt erscheint in der nächsten Koller-Ausgabe. Die Zeitschrift Koller bringt das Kollit (Junges Kollektiv für Literatur) heraus.
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