Lesetipp: Buchhandlung Buchstäblich empfiehlt

Das Cover von "Heimat" zeigt ein Flussufer.

Als Letzte gestresst in Kita oder Hort aufzuschlagen, das schlechte Gewissen, sich nicht ausreichend gekümmert oder mal wieder den Kuchen für das Sportfest nicht perfekt verziert zu haben: Frauen, die eine auskömmliche Berufstätigkeit mit Familie und Kindern verbinden, kennen das nur zu gut. Wie anders – und entspannter – sieht es doch in der schönen „heilen“ Insta-Welt der Tradwife-Bewegung aus, die Antworten zu liefern scheint, wo politische Lösungen bislang ausbleiben, siehe fehlende Kinderbetreuung.

Junge Frauen, aufwendig gestylt, inmitten einer Kinderschar, beim Kuchenbacken oder Marmeladekochen faszinieren Millionen Follower in den sozialen Netzwerken. Hausfrau und Mutter, willige Ehefrau sowieso, Rollenbilder aus den Fünfzigern feiern eine Renaissance im Netz. Dabei geht es um mehr als das Abfeiern klassischer patriarchalischer Strukturen, sondern um politische Botschaften, die eindeutig dem rechten Spektrum zuzuordnen sind.

Auch für Jana, Protagonistin in Hannah Lühmanns neuem Roman Heimat, gerät die Bewegung zum Faszinosum. Die von der Autorin unsicher und überfordert gezeichnete Protagonistin ist schwanger und just mit ihrem Partner Noah und zwei Kindern in ein ödes Neubauviertel abseits der Stadt gezogen. Auf der Suche nach neuen Kontakten lernt sie Karolin kennen, die ihre fünf Kinder locker im Griff zu haben scheint. „Sie trug eine gesteppte Barbourjacke über einem hochgeschlossenen Kleid mit buntem Blumenmuster, dessen hellblaue Knopfleiste ein Stück ihres schlanken Halses hinaufreichte ...“ 

Wie magisch ist Jana von Karolin angezogen und wird, als sie deren Instragram-Profil entdeckt, endgültig abhängig von der Influencerin ... Schnell ist man als Leser:in „hooked“ in dem Roman, der schlicht erzählt ist und dessen Szenen sich selbst teilweise wie Posts aneinanderreihen. 

Schließlich kündigt Jana ihren Job, ohne Noah davon zu erzählen. Das Paar entfernt sich im Laufe des Romans stetig voneinander, je mehr Jana sich in die Welt Karolins und ihrer Freundinnen hineinziehen lässt. Ihre Bildschirmzeit scheint ins Unendliche zu steigen, bis schließlich die offensichtliche Nähe des „Mama-Lesekreises“ zu Aktionen der örtlichen AfD nur noch kurz zu Irritationen bei der Protagonistin führen. Gleichzeitig genießt sie die Gesellschaft von Karolins Mann, obwohl unausgesprochen der Verdacht häuslicher Gewalt im Raum steht. Ein Ausweg scheint kaum noch möglich, die Geschichte läuft auf ein dramatisches, absurdes Ende hin, das uns als Leser:in etwas fassungslos zurücklässt. Hannah Lühmann, die sich selbst lange Zeit intensiv mit dem Phänomen „Tradwifes“ beschäftigt hat, zeigt mit ihrem Roman nicht nur, wie die schleichende Übernahme von reaktionärem Gedankengut über die sozialen Netzwerke funktionieren kann, sondern auch, wie schwierig es für Frauen vor dem Hintergrund unserer politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten ist, ein funktionierendes Lebensmodell zu finden.

Übrigens: Der #tradwife zeigt rund 70 Millionen Videos! 

Gabriele Becker

HEIMAT | Hannah Lühmann | ROMAN hanserblau | Berlin 2025 | 176 S. | €22,00

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