“Poetisch und politisch Schreiben
- in Krisen die Stimme nicht verlieren”
so lautete der Titel des Uni-Seminars, das Donka Dimova im Sommersemester an der Bremer Universität leitete.
Aber wie? Wenn die Nachrichten uns die Kehle zuschnüren. Wenn der Druck der Zeit uns auf der Brust sitzt. Wenn uns Wut, Ohnmacht und Trauer keine Luft zum Atmen lassen. Also langsam. Die Teilnehmenden haben sich Zeit genommen zu beobachten und wahrzunehmen, haben Texte von zeitgenössischen Lyriker*innen besprochen und nach eigenen Worten gesucht. Und hier sind zwei Ergebnisse aus dem Seminar.
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Zum Autorinnenprofil von Donka Dimova
omnipräsent in vergangenheit und zukunft
angst sie zu verlieren, sich zu verlieren
verloren, bevor wir sie hatten
süßer tee in meiner küche. seiner salzgetränt
sagt er darf seit jahren nicht mehr reisen
kehle schnürt. fühl mich eingesperrt
nicht durch mauern sondern schmerz
da flog sie fort, über stock und stein
ich schrie. war doch so schön
“die freiheit frei zu sein”1
er hebt den kopf, sieht berge. schneeweiß wie eine taube.
drei schritte dann ein bach. glatt wie wand dazwischen
funkelnd wie des weißen eisig blick. er, der er hier steht, hat's gehört.
traumhaft tal, doch sah er's nie. seins gespült von salzig
wasser, umgibt stachel hoch wie berge. kam er vor berge
vordernberg. halt an zentrum, ankunft schwarzglänzend caravan.
drohend blicke dunkel wie des weißen größter hass.
er kam doch hatte nicht, wie gebirge schneeweißen pass. es
schmelzen berge, er mit ihnen. wird bald verflogen. träume
weggespült. muss er wieder an albtraum ersten ort.
wie eine raupe im riesigen
wald. du fühlst dich frei und doch so
machtlos zwingt in die knie und doch
läufst du. wald zu beton. stop. der körper
krampft. komm ich jemals raus? kein
land_leben in sicht. angst
wächst mit dir. plötzlich ein pupp – du
schreist. du bist ein schmetterling. du
breitest deine flügel. du hebst ab. zerschmetterst
grenzen. da ist sie, die freiheit.
Nelo Drama
(er/ihm) ist 24 Jahre jung, studiert mittlerweile nach drei erfolgreich abgebrochenen Studiengängen Kulturwissenschaft und nennt Bremen seit ziemlich genau einem Jahr sein Zuhause.
In der stoasteirischen („steinsteirischen”) Hip-Hop-Szene groß geworden versucht er nun, mit (auto-)biografisch geprägten Texten ein Loch in die undurchdringbar scheinenden Grenzen dieser Welten zu kritzeln.
Kimi Müller
Mein Name ist Kimi uni ich bin 21 Jahre alt. Ich studiere Kommunikations- und Medienwissenschaften und Kulturwissenschaften an der Uni Bremen. In meiner Freizeit schreibe ich immer mal wieder, aber jetzt hatte ich endlich die Möglichkeit, mich eine Woche lang intensiv mit dem Schreiben zu befassen. Im Rahmen eines Seminars entstand der Text Atem der Zeit.
Ich denke, wir alle kennen das Gefühl ständig unter Druck zu stehen. Bei all unseren To-Do-Listen und Regeln fehlt manchmal der Raum zu Atmen. Damit befasst sich auch mein Text.
Atme ein. Als würde nur ich es sehen.
Die Shoppingtüten in euren Händen,
Stoßt den Becher am Straßenrand um.
Unbedachtes Lachen, schneller Schritt.
Im Vorbeigehen die Nase rümpfen.
Atme aus. Als würde nur ich es hören.
Klappernde Zähne gegen euer Gelächter.
Das Rattern eurer Stimmen,
Wortfetzten im Wind,
Reden über Belangloses.
Ein See aus Worten.
Kein Tropfen im Becher. Hände,
die das Plastik umfassen.
Lass dich nicht hinreißen in das dunkle
Loch. Leises Atmen in der Dunkelheit,
wird zu ersticktem Schreien. Hände auf den Ohren,
Fäuste geballt. Das Holz knackt. Ihr steht
still. Die Zeiger an der Uhr rennen ihren
Marathon. Ihr könnt sie hören. Ein Herzklopfen
stetig im Takt. Deine Füße wie angewachsen,
festgeklebt. Rote Tropfen auf Steinpflaster.
Der Atem der Zeit in deinem Nacken.
Atme ein. Als würde nur ich es fühlen.
Die Wärme der Sonne.
Kämpft gegen die Kälte so wie wir.
Sehen die Wolken vorüber ziehen,
Auf unserem harten Beton aus Stein.
Atme aus. Als würde nur ich es schmecken.
Die Trockenheit.
Blut läuft in meinem Mund zusammen,
während ihr eure Burger esst.
Wir haben Hunger, aber werden nicht satt.
Tisch reich gedeckt.
Atem schwer, Herz klopft laut.
Kaffeetasse in der einen,
Handy in der anderen Hand.
Die Uhr an der Wand tickt leise.
Sie wartet bereits auf ihn. Bin gleich da,
murmelt er während er den Kaffee runter
kippt. Das leichte Zittern seiner Hände merkt
niemand, denn er ist schon wieder auf dem
Sprung. Das Dach muss noch repariert werden
und das neue Gartenhaus könnte auch mal
einen Anstrich vertragen. Muss schnell los, Schatz.
Das leise Ticken wird zu einem Klopfen.
Ihr Blick senkt sich auf den Boden.
Die Sonne wirft ihre Strahlen auf den
gedeckten Tisch. Es ist doch Sonntag,
ein leiser Protest. Nur noch diese eine
Sache, versprochen. Dann bin ich da.
Er dreht sich zur Tür.
Sie hört nur noch das Kreischen der Zeiger.
Sekunden vergehen wie Stunden. Oder Tage.
Dann ist er wieder neben ihr. Haare zerzaust
vom kalten Wind, Hände dreckig. Draußen
sieht man die Sterne am Himmel. Mittlerweile
ist das Essen kalt. Morgen hab ich frei, haucht
er in ihr Ohr.
Die Welt kippt,
Nichts am Platz,
Alles verrückt,
Mach weiter, Schatz.
Die Ziegel am Hausdach rutschen.
Er muss morgen Zement kaufen.
Einatmen. Eins. Zwei. Drei. Vier.
Zeit rennt schnell,
Tick, Tack. Vorbei.
Halt sie fest,
Dann sind wir frei.
Die Luftpumpe ist kaputt.
Irgendwo muss die Anleitung sein.
Ausatmen. Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Sechs. Sieben.
Alles brennt,
Deine Arbeit ruft,
Stimmen ersticken,
Zum Atmen fehlt Luft.
Dem Rasenmäher fehlt das Öl.
Den wollte er eh längst reparieren.
Eins. Zwei. Drei. Vier.
Schreiende Menschen,
Plakate, Bomben, Krieg
Der größte ist hier,
Zwischen dir und mir.
So viel Staub im Haus, dreckiger Boden.
Man sollte mal wieder Frühjahrsputz machen.
Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Sechs. Sieben.
Atme ein. Als würde nur ich es riechen.
Euren Porsche. Mercedes.
Euren VW. Käfer.
Blei und Staub.
Nasen schon verstopft?
Die Zeit pustet Luft in deine Lungen.
Luft die mir den Atem nimmt.
Baut sich auf in meiner Brust.
Wir atmen alle im selben Takt.
Pumpen kaltes Blut durch die Venen.
Unsere fleißigen Herzen.
Wie lange noch bis wir erfrieren?
Schalter der sich umlegt. Warmer Strom
der durch den Körper fließt.
Explosion, brennt und hört nicht auf.
Buch staben, die sich zu Worten formen.
stauen sich, fallen auf den Boden.
Ein Haufen aus Versprechen.
Die Zeit hält dir den Mund zu.
Atem stockt. Als würde nur ich es wissen.
Dabei stehen wir alle hier.
Ich bin nicht alleine,
Aber wo seid ihr?
Atme ein. Ein letztes Mal.
Arm in Arm,
Hand in Hand,
Schritt für Schritt,
gegen die Wand.