Lesetipp: Benjamin Tietjen empfiehlt

Cover In der Wand von James Salter

Petit Dru, Eiger, Walkerpfeiler: James Salter führt den*die Leser*in seines 1979 erschienenen Romans In der Wand (original: Solo Faces) an die großen Nordwände der Alpen.

In den Nachwehen des Vietnamkrieges sucht der Amerikaner Vernon Rand seine Bestimmung an den Felswänden der Alpen, und erlangt bald Ruhm durch eine Reihe extrem schwerer Besteigungen. Fatalismus kennzeichnet Salters Protagonisten. Die Gleichgültigkeit, wenn das Bedürfnis nach Anerkennung gestillt ist. Der unstillbare Hunger danach. Und die Einsamkeit, die ihn auf die höchsten Gipfel begleitet.

Salter schildert diese Gratwanderung zwischen Sehnsucht und Neid in den sein Werk auszeichnenden sparsamen Sätzen. Dennoch kann in einem Absatz der Stoff ganzer Tragödien stecken. In einem Kapitel ganze Leben.

„Er war glücklich, gehalten durch die kleinste Spitze Stahl, über alle Schwierigkeiten erhaben, jenseits aller Ängste. So muß sich das Ende anfühlen, dachte er beklommen, ein berauschendes Gefühl der Freude vor dem allerletzten Moment. Er sah an seinen Füßen vorbei nach unten. Die Tiefe war blendend. Weit über ihm lag ein großer Felsblock. Es gab zwei Wege daran vorbei, nur zwei Wege.“

Und so gibt es für Rand nur die zwei Wege Leben und Tod. Kraft- und mutlos bricht er seine letzte große Solo-Besteigung in den Grandes Jorasses ab. Seine Karriere endet. Er kehrt zurück in die Bedeutungslosigkeit, in die Tristesse, der er durch das Klettern entfliehen wollte. Nicht der Tod des Helden, sondern das Überleben wird zur Tragödie.

In der Wand, ursprünglich als Drehbuch von Robert Redford beauftragt, kann als Parabel auf Heldentum und Mythenbildung gelesen werden oder einfach als wohl packendstes Prosawerk über das Bergsteigen.

IN DER WAND | James Salter | Übersetzung: Bearice Howeg | ROMAN Berlin Verlag | Berlin 1999 | 240 S. | €9,99


Benjamin Tietjen

wurde 1983 bei Bremen geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Aus Mangel an realen Vorbildern verkroch er sich früh in die Fiktion. Er studierte Germanistik, Philosophie und Architektur. Seine Geschichten und Kolumnen wurden in Magazinen und Anthologien veröffentlicht. 2015 erhielt er das Bremer Autorenstipendium für sein Romanprojekt Mister Gute Miene. Ungefähr zeitgleich verabschiedete er sich aus dem Literaturbetrieb, um an dem größenwahnsinnigen Manuskript zu Die Sonne erloschen zu schreiben.

In der Reihe Mini-Lit ist in Heft Nr. 3 Benjamin Tietjens Text An einem Sonntag erschienen.

Portrait Benjamin Tietjen
© Carolin Wewer

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