Lesetipp: Hendrik Werner empfiehlt

Cover des Romans "Die siebte Sprachfunktion" von Laurent Binet

Detektivische und philologische Arbeit eint das Lesen von Spuren. Die Möglichkeit von deren Fehllektüre inbegriffen. Auf diese reizvolle Konstellation setzt der französische Historiker und Romancier Laurent Binet in seinem ebenso klugen wie komischen Krimi Die siebte Sprachfunktion (hierzulande 2017 erschienen). Vorangestellt ist ein Bonmot von Jacques Derrida. Der Denker der Dekonstruktion weist auf Fallstricke jeder Interpretation hin, auf die subjektive Färbung von Texten und auf die „Taschenspielertricks“ von Schreibenden.

Der talentierte Monsieur Binet, ein Verwirrungsvirtuose, setzt seine ironischen Zeichen absichtsvoll überdeutlich - im Gestus einer intellektuellen Kolportage. Ausgangspunkt des im Paris der Poststrukturalisten angesiedelten Plots ist ein folgenreicher Unfall, der auch ein Attentat gewesen sein könnte: Der auf Semiotik spezialisierte Philosoph Roland Barthes ist augenscheinlich vom Wagen eines bulgarischen Wäschelieferdienstes überfahren worden. Für den Tod des Autors gibt es einen wissenschaftlich ebenfalls prominenten Augenzeugen namens Michel Foucault. Der will einen Mord gesehen haben. Und wo ist eigentlich das dem Vernehmen nach brisante Manuskript abgeblieben, das Roland Barthes - angeblich! - zum Zeitpunkt seines vielbetrauerten Ablebens bei sich trug?

Das sind komplexe Rätsel für den bodenständigen Kommissar Bayard, der mit den Ermittlungen betreut wird. Kurzerhand wirbt er den mit einschlägigen Zeichen und Wundern vertrauten Nachwuchssprachwissenschaftler Simon Herzog als Assistenten an. Gemeinsam begeben sie sich auf eine aberwitzige, bisweilen riskante Recherche-Reise, die sie unter anderem zu einem gewissen Umberto Eco nach Bologna führt. Laurent Binets Mutmaßungsprosa strotzt vor wildem Denken, anarchischem Fabulieren sowie gut getakteten Erzählvolten und Pointen, deren planvolle Plakativität allenfalls passagenweise den Esprit dieses bemerkenswerten Buches überformt.

DIE SIEBTE SPRACHFUNKTION | Laurent Binet | Übersetzung: Kristian Wachinger | ROMAN Rowohlt Verlag | Hamburg 2018 | 528 S. | €12,00

 


Hendrik Werner

Jahrgang 1966, ist Literaturwissenschaftler, Kulturjournalist – und ein vergleichsweise später Prosadebütant (in Vorbereitung: Der Spleen von Bremen. Schauernovelle). Seit dem Annus horribilis 2020 arbeitet er als Referent des Bremer Senators für Kultur. Als Fan der literarischen Fantastik gelten ihm falsche Fährten, behauptete Identitäten und eine Ästhetik der Irritation, wie sie der besprochene Laurent-Binet-Roman vorführt, als besonders verführerische Strategien des Erzählens. Deshalb setzt sich Hendrik Werner für eine Wieder- und Neuentdeckung des Werks von Friedrich Wagenfeld ein, einem titanischen Trunkenbold und Text-Trickster, der im Zeichen der Fiktion weit mehr für Bremens Geschichtsschreibung getan hat, als, sagen wir mal, zwei Brüder aus Hanau mit einer dem Geist des Ortes notgedrungen entratenden Musikanten-Mär.

Foto von Hendrik Werner
© Hauke Werner

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