Anfang 2018 wurde in Großbritannien als erstem Land der Welt ein Ministerium für Einsamkeit eingerichtet. Genauer gesagt: das „Ministerium für Sport, Zivilgesellschaft und Einsamkeit“. Man hat erkannt, dass Einsamkeit sogar ungesünder sein soll als Rauchen (wie auch immer man das gegeneinander aufrechnen mag), dass sie zu einem umfassenden Problem geworden ist, gegen das man angehen muss.
Wenn man das Wort „Einsamkeitsministerium“ auf Deutsch googelt, landet man beim „Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend“, eine ähnlich sonderbare Aufzählung wie in Großbritannien. Auch hier sollen Maßnahmen gegen Einsamkeit ergriffen werden, man packt das Thema zu „Familie und das andere Gedöns“ (Gerhard Schröder). Vielleicht liegt da schon der Kern des Problems – dass Teile der Gesellschaft einzeln aufgezählt werden, andere nicht. Als wären die einen ein Problem, oder mindestens ein Thema, um das man sich kümmern muss, die anderen nicht.
Warum nicht „Ministerium für Familie und Freundschaft“? Da wäre alles drin, alle Menschen, alle Beziehungsformen. „Familie“ sind die Leute, mit denen man zufällig verwandt ist, aber mit manchen davon kann man nicht besonders viel anfangen und möchte schon gar nicht das Leben mit ihnen teilen. Und das Gute ist: das muss man heute auch nicht mehr. Wir haben andere Möglichkeiten als die Kernfamilie, wir können in allen denkbaren sozialen Konstellationen leben – vorausgesetzt, wir finden Menschen, die auf dieselbe Weise mit uns leben möchten. Freundschaft, Paarbeziehung, Wohngemeinschaft, was auch immer. Beide Arten von Beziehungen – Familie und Freundschaft – brauchen auch rechtliche Regelungen, und es wird Zeit, dass man die Freundschaft in vielen Bereichen der Familie gleichstellt.
Einsamkeit ist ein negativ besetztes Wort, daran ist nicht zu rütteln, schon das Wort „Einsamkeit“ macht einen ganz traurig. Niemand gesteht sich oder anderen gern ein, dass er einsam ist.
Das Ministerium, das sich um alle anderen Krankheiten kümmert, heißt ja auch nicht „Krankheitsministerium“, sondern „Gesundheitsministerium“. Ich finde, das Ministerium für Einsamkeit sollte lieber Ministerium für Freundschaft heißen. Oder wenn das nicht ausführlich genug ist: Ministerium für Familie, Freundschaft, soziale Beziehungen und Empathie. Da möchte man sich doch gleich viel lieber einsortieren als bei „Einsamkeit“.
Isabel Bogdan
geboren 1968 in Köln, studierte Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokio. Sie verfasste zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Jane Gardam, Nick Hornby und Jonathan Safran Foer. 2011 erschien ihr erstes eigenes Buch, Sachen machen, bei Rowohlt, außerdem schrieb sie Kurzgeschichten in Anthologien. 2006 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung und 2011 den für Literatur. 2016 erschien ihr Bestsellerroman Der Pfau und 2019 Laufen. Beide wurden auch verfilmt. 2024 ist ihr Roman Wohnverwandtschaften erschienen.
Zum Autor*innenprofil von Isabel Bogdan
Isabel Bogdan liest im Rahmen der Lesereihe Satzwende am 03. Juni in der Bremer Shakespeare Company.