"Unbrauchbare Väter": Interview mit Dorothee Schmitz-Köster

Seit Jahren forscht Dorothee Schmitz-Köster zum SS-Verein Lebensborn und den Kindern, die in den Heimen geboren wurden und aufgewachsen sind. Mit Annika Depping hat sie über ihr neues Buch Unbrauchbare Väter, die langwierigen Recherchen und neue Projekte gesprochen.

Im Oktober ist Ihr Buch Unbrauchbare Väter. Über Muster-Männer, Seitenspringer und flüchtende Erzeuger im Lebensborn im Wallstein Verlag erschienen. Welche Rolle haben diese Männer denn gespielt und was machte sie so unbrauchbar?

Buchcover von Dorothee Schmitz-Köster: Unbrauchbare Väter

In meinem Lebensborn-Väter-Buch habe ich drei große Kategorien herausgearbeitet, die im Textverlauf dann weiter aufgefächert werden. Um bei den großen zu bleiben: Da gibt es einmal die „flüchtenden Erzeuger“ – sie liefern die krassesten Beispiele für die „Unbrauchbarkeit“. Diese Männer übernehmen einfach keine Verantwortung für das eigene Verhalten – dafür, dass sie ein Kind gezeugt haben. Im Gegenteil: Sie streiten ihre Vaterschaft ab, sie kümmern sich nicht, sie zahlen nicht, sie tauchen unter … Und mit Hilfe des Lebensborn können sie ihre Vaterschaft geheim halten. Damit bleiben sie für ihr Kind häufig unerreichbar – und oft genug komplett unbekannt. Sicher, es gibt Gegenbeispiele, aber die ändern nichts an der großen Linie.

Auch die „Seitenspringer“ (verheiratete Männer mit außerehelichem Kind) machen es sich gerne einfach, bleiben „in der Deckung“, sprich geheim – zum eigenen Nutzen, auf Kosten des Kindes. Immerhin ist ihre Zahlungsmoral in der Regel besser. Und die „Muster-Männer“ – mit der Kindesmutter verheiratet und oft schon mehrfacher Vater? In der Rolle des Ernährers und „Familienoberhaupts“ funktionieren sie – die Erziehung, die Fürsorge, die Beschäftigung mit dem Kind überlassen sie ihrer Frau.

Fazit: Interesse für das Kind legen die wenigsten an den Tag. Muss ich bei diesem Befund noch erklären, warum diese Männer „unbrauchbare Väter“ sind?

Sicherlich waren die Recherchen zum Thema schwierig, weil vieles geheim geblieben ist. Wie sind Sie an die Informationen gekommen?

Die Recherchen waren vor allem langwierig. Denn trotz großer Lücken gibt es viele Dokumente, die von Verhalten, Einstellungen, Denkweisen der Väter zeugen. In den Arolsen Archives liegen zum Beispiel Briefe, Gutachten, Protokolle aus der Lebensborn-Bürokratie. Und da viele Väter in der SS waren, konnte ich im Bundesarchiv auch entsprechende Personalakten auswerten.

Dazu kommen die Interviews, die ich mit Lebensborn-Geborenen, -Angestellten und -Müttern geführt habe – es sind immerhin 132! Darin ging es auch um die Erzeuger, selbst dann, wenn sie im Leben der Kinder eine Leerstelle geblieben sind. Einen Lebensborn-Vater habe ich übrigens nie vors Mikrophon bekommen. Mit einigen habe ich korrespondiert – das war alles. Sicher, viele waren bereits tot, als ich mit den Recherchen begonnen habe, aber viele blieben auch für die Forschung „in der Deckung“

Das Buch ist eines von mehreren, die Sie über den Lebensborn geschrieben haben. Was macht das Thema so wichtig und interessant?

Das eine ist die Rassenideologie, die quasi als Überschrift über dem Lebensborn-Projekt steht. In dessen zehnjähriger Praxis zeigt sich immer wieder die Absurdität dieser „Menscheneinteilung“ – dies herauszuarbeiten war und ist mir wichtig. Das andere sind die Frauen und Männer, die häufig mit ihrer Geburt in einem Lebensborn-Heim hadern. Das Gerücht von der „Zuchtanstalt“ Lebensborn, das sich trotz aller Widerlegung hartnäckig hält, beschämt sie. Die Geheimnisse, die um ihre Geburt gemacht wurden, belasten sie. Im Laufe meiner Arbeit ist es immer wichtiger geworden, sie bei ihren Recherchen zu unterstützen. Und abgesehen davon: Es ist einfach spannend, Hintergründe zu erschließen, Geheimnisse zu entschlüsseln – und verantwortungsvoll.

Porträt von Dorothee Schmitz-Köster
© Tristan Vankann

Jetzt schreiben Sie über die Väter, in Ihren anderen Büchern ging es um die Mütter, früher zum Beispiel auch um weibliches Schreiben in der DDR. Was sind Ihre nächsten Themen und Projekte, haben Sie schon Ideen?

Auf meiner Webseite baue ich gerade einen Lebensborn-Blog auf. Da geht’s zum Beispiel um „geheimnisvolle Orte“ – die ehemaligen Lebensborn-Heime. Oder um die Entschädigung, die das Land Baden-Württemberg jetzt an Raubkinder zahlen will. Demnächst stelle ich den neuen Roman von Ulrike Draesner vor, in dem eine der Hauptfiguren ein Lebensborn-Kind ist … Ein anderes Projekt ist mein Archiv, das ich im Laufe der Arbeit zusammengetragen habe. Den ersten Teil habe ich schon den Arolsen Archives übergeben, dort wird das Material jetzt eingearbeitet und zugänglich gemacht. Mir ist einfach wichtig, dass die vielen Dokumente, Fotos, Audios und Objekte, die sich bis jetzt in meinem Arbeitszimmer stapeln, an einen sicheren Ort kommen – und von anderen für ihre Arbeit genutzt werden können. 

Dorothee Schmitz-Köster

wurde 1950 in Bergisch Gladbach geboren. Sie studierte in Bonn Germanistik, Philosophie und Sozialwissenschaften und absolvierte das Erste und Zweite Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien. 1983 promovierte sie. Seit 1985 ist Dorothee Schmitz-Köster freiberufliche Journalistin und Autorin, vor allem für öffentlich-rechtliche Sender und verschiedene Buchverlage. Sie wurde mit diversen Stipendien und 2006 mit dem Bremer Feature Preis ausgezeichnet.

Von ihr erschien 1987 das erste Sachbuch Frauen ohne Kinder. Es folgten seit 1997 verschiedene Bücher zu Themen aus der NS-Zeit, zum Beispiel Deutsche Mutter, bist du bereit. Alltag im Lebensborn (1997, 2003, 2010), Lebenslang Lebensborn. Die Wunschkinder der SS und was aus ihnen wurde (2012) und Raubkind. Von der SS nach Deutschland verschleppt (2018).

Zum Autorinnenprofil von Dorothee Schmitz-Köster

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