Inge Buck: "Schreiben ist die beste Form des Erzählens"

Gerade hat die Neuauflage von Aus dem Gepäck der Kriegskinder Premiere gefeiert, in dem acht Autor*innen der Kriegskindergeneration ihre Erlebnisse auf verschiedenste Weise schildern. Leider sind heute - knapp zehn Jahre nach der Ersterscheinung - nicht mehr alle Autor*innen am Leben. Im Interview erzählt uns die Co-Autorin und Herausgeberin des Buches Inge Buck von ihren Eindrücken dieser besonderen Lesung, von der Wichtigkeit des Erinnerns und dem Umgang mit Verlust.

Inge Buck
© Julia Baier

Das Buch ist 2014 im Kontext eines Schreib-Workshops entstanden, der zunächst auf wenig Resonanz gestoßen ist. Können Sie sich vorstellen, dass heute angesichts der von Krieg und Pandemie geprägten letzten Jahre das Interesse an einem derartigen Schreibworkshop größer wäre? Glauben Sie, dass durch diese neuen Krisenerfahrungen das Bewusstsein über die eigene Geschichte unter den heute noch lebenden Kriegskindern ein anderes ist, als noch vor zehn Jahren?

Ich glaube kaum, dass heute ein Workshop mit den noch lebenden „Kriegskindern“ des Zweiten Weltkriegs noch möglich wäre. Viele leben ja nicht mehr oder würden den zeitlichen und kräftemäßigen Anstrengungen eines Workshops kaum mehr gewachsen sein. Die Schrecken des Krieges sind zwar geblieben und werden erneut aufgerührt durch die aktuellen Kriegsberichte, viele verweigern sich aber inzwischen eher einer Konfrontation und wollen „ ihre Ruhe haben,“ und nicht mehr erinnert werden, vielleicht haben aber auch die Kräfte der Mitteilung abgenommen.

Daher sind die Zeit-Zeugnisse aus dem Zweiten Weltkrieg aber weiterhin Mitteilung und Mahnung an die jetzt lebende gegenwärtige Generation, mit der durchaus ein Workshop zum Thema „Krieg und Frieden“ denkbar ist, und zwar aus heutiger Sicht, erweitert in einem globaleren Kontext.

Leider sind heute nicht mehr alle Autor*innen des Buches am Leben. Wie haben Sie die Lesung anlässlich der Neuauflage am 25. April 2024 angesichts dieses Umstandes wahrgenommen und erlebt? Inwieweit wurde in diesem Kontext das Erzählen auf der Lesung um das Thema Sterben und Verlust erweitert? 

Dass die Originaltexte Aus dem Gepäck der Kriegskinder nicht mehr nur von den Betroffenen selbst gelesen werden konnten, sondern von Freunden und Angehörigen, hat der Lesung eine andere Öffentlichkeit gegeben, die Lesetexte sind im Vortrag, abgelöst von der eigenen Betroffenheit, allgemeingültiger Literatur geworden. Gleichzeitig waren die verstorbenen „Kriegskinder“ in ihren Texten gegenwärtig, das Gedenken an sie und die Trauer um ihren Verlust waren spürbar und gaben der Lesung eine tiefere Dimension. 

Erinnerungen zu teilen erfordert manchmal Mut – insbesondere dann, wenn so mancher Schrecken in den Erinnerungen lauert. Gleichzeitig kann das Erzählen auch immer der Verarbeitung von Erfahrenem dienen und Menschen verbinden. Warum ist das Erzählen eine der besten Formen, mit Trauer und Verlust umzugehen? 

Schreiben ist die beste Form des Erzählens, weil es Distanz schafft zwischen dem Damals und  dem Heute, weil man Worte findet, für das, was damals nicht ausgesprochen werden konnte oder verschwiegen wurde. Schreiben öffnet ein Fenster nach außen und öffnet ein Fenster in der Seele, die sonst gelähmt wäre von Schmerz, Angst und Verlust. 

Oder wie in meinem Gedicht „Erinnern“:

Später/ werden wir uns daran erinnern/ Wunden werden zu Narben/ Schmerzen zu Heldentaten/ wenn wir vergessen haben/ wird daraus eine Geschichte

Derzeit wird besonders viel von den verschiedenen Generationen – den „Boomern“ der Nachkriegsjahre, den Millennials und der Gen Z – gesprochen. Ihre Generation ist dabei allerdings leider kaum im Gespräch. Was glauben Sie, könnten andere Generationen von der der Kriegskinder lernen?

Cover von Aus dem Gepäck der Kriegskinder

Flexibilität und Improvisationsfähigkeit, sich auf die aktuelle Situation und auf das Hier und Jetzt einstellen, auch auf Verluste, Hilfe nicht immer nur von außen und  von anderen erwarten oder fordern, sondern die eigenen Kräfte und Möglichkeiten aktivieren, die Ansprüche herunterschrauben und die eigene Eitelkeit. 

Inge Buck

wurde 1936 in Tübingen geboren. Studium der Literatur- und Theaterwissenschaft, Psychologie und Publizistik in Tübingen, München und Wien. Dr. phil. Sie arbeitete als Redakteurin beim Deutschlandfunk, Köln und als Kulturwissenschaftlerin an der Hochschule Bremen. Derzeit lebt und arbeitet Inge Buck als Autorin in Bremen. Arbeitsgebiete: Lyrik, Edition, Hörfunk-Features und Hörbilder, Biographie, Literaturkritik, Edition und Dokumentarfilm.

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