Der von Ihnen ins Leben gerufene Literarische Salon feiert in diesem Jahr seinen 30. Geburtstag. Wie kam es zu seiner Entstehung?
Ich war damals als Lehrerin an der Gesamtschule und in der Erwachsenenbildung tätig und begründete in Zusammenarbeit mit dem Literaturkontor eine Lyrik-Werkstatt und den Literarischen Salon. Seit meiner Pensionierung werden beide Veranstaltungen im Programm der Volkshochschule angeboten. In Bremen war das der erste Salon seiner Art – heute gibt es da ein größeres Angebot.
Inzwischen treffen wir uns viermal im Halbjahr, um einen Roman- oder einen Lyrik-Autor bzw. eine Autorin zu feiern.
Ich bin sehr froh, dass ich den Literarischen Salon im Hoch-Parterre meines Altbremer Hauses in der Wulwesstraße ausrichten darf statt in den Räumen der Volkshochschule. Hier steht ein Klavier, auf dem die Musikerin Ortrud Staude den Abend mit ausgewählten Stücken musikalisch begleitet. Dazu gibt es ein kleines kulinarisches Angebot (Wein und Gebäck). Das literarische Werk wird bei jeder Veranstaltung vorgestellt und dann wird diskutiert. Dabei geht es mir vor allem darum, das Werk und dessen Autor oder Autorin zu feiern! Inzwischen reicht die Liste der besprochenen Bücher – passend zum 30jährigen Jubiläum – fast an die Zahl 300 heran.
Neben sogenannten „Klassikern“ aus deutscher und internationaler Literatur, sind es inzwischen vor allem Dichter und Dichterinnen des 20. und 21. Jahrhunderts, Roman-Autor*innen und Lyriker*innen. So sind Goethes Wahlverwandtschaften genauso vertreten wie die Romane von Literaturnobelpreisträgern (Jan Fosse und Han Kang) oder von Preisträgern des Bremer Literaturpreises (z.B. Marion Poschmann) wie die Lyrik der wieder entdeckten Barocklyrikerin Sybilla Schwarz bis zu der von Rilke oder Hilde Domin.
Bei Literarischen Salons handelt es sich um eine Praktik, die vor allem vom 17. Jahrhundert bis zur Zeit vor des Ersten Weltkriegs in bürgerlichen und adligen Kreisen etabliert war. Was nehmen Sie von Ihren Vorgänger*innen mit, was machen Sie aber vielleicht auch anders?
Die Literarischen Salons im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts hatten ihre Blütezeit vor allem im vom barocken Absolutismus und einer reichen, privilegierten Adelsgesellschaft geprägten Frankreich. Sie sind für mich insofern von Bedeutung, als es vor allem Frauen waren, die hier eine führende Rolle inne hatten.
Im deutschsprachigen Raum, vor allem in Berlin, war es vor allem Rahel Varnhagen (1771 - 1833), eine (zunächst) unverheiratete, keineswegs sehr wohlhabende Jüdin, die im Spannungsfeld von Aufklärung und Romantik einen Literarischen Salon begründete, zu dem sie bekannte bürgerliche wie adlige Größen aus Kultur, Politik und Wissenschaft einlud. Zu ihrem Freundeskreis gehörten z.B. Alexander von Humboldt, Friedrich Hegel, Bettina von Arnim, Heinrich Heine.
Leider ist es mir nicht vergönnt, vergleichbare Größen aus unserer Zeit in mein Haus zu laden. Dafür sind es die Texte, die Bücher, das „Werk“ eines Autors oder einer Autorin, die ich in den Mittelpunkt eines Abends stelle. Dabei geht es vor allem um die Würdigung eines Werks oder einer Autorschaft, was ausdrücklich natürlich auch Widerspruch und Kritik herausfordert.
Dass es in meinem Salon in letzter Zeit überwiegend literarische Texte von Frauen sind, entspricht einmal natürlich meinen eigenen Interessen, ist zum anderen aber auch Ausdruck einer gesellschaftlichen emanzipatorischen Entwicklung, zu der Frauen wie Rahel Varnhagen und die vielen anderen Frauen aus der Geschichte der Salons mit ihrem Mut, ihrer Klugheit und ihrem Engagement indirekt beigetragen haben.
Wie wichtig sind Musik und gutes Essen beim Sprechen über Autor*innen und Bücher?
Und: Gibt es etwas, das Ihnen aus den 30 Jahren besonders in Erinnerung geblieben ist? Und: Warum braucht es Ihrer Meinung nach auch heute noch Literarische Salons?
Musik und Essen sind wichtig für die Gemeinschaft und die Geselligkeit! Aber „gutes Essen“ spielt bei mir wie auch bei Rahel Varnhagen keine große Rolle. Die musikalische Begleitung am Klavier ist eine Bereicherung und unterstützt vor allem die künstlerische Seite an diesen Abenden. Rahel Varnhagen war eine „Gesellschaftskünstlerin“, von deren Vorbild ich mich habe inspirieren lassen, so schrieb es der Weserkurier zum 20jährigen Bestehen meines Salons 2015. An dieser Stelle zitiere ich gerne die Ausschreibung, mit der seit vielen Jahren in der VHS für diesen „Kurs“ geworben wird:
Wer hat Lust am „kreativen Lesen“? Wer hat Lust mit anderen zusammen ein Buch oder einen Autor zu „feiern“? Wer möchte in der Tradition einer „versunkenen Kultur“ – der jüdischen Salons zur Zeit der Aufklärung und Frühromantik in Berlin – neue Formen einer „Lesegesellschaft“ wieder entdecken? In Räumen, in denen Platz ist für musikalische Darbietungen am Klavier so wie kleine kulinarische Genüsse und große kreative Einfälle.
Es erscheint mir sehr wichtig, dass diese Form einer scheinbar überholten „Lesekultur“ ernst genommen wird. Es wird immer weniger gelesen, viele junge Menschen bewegen sich vor allem in digitalen Welten. Mit dem Salon möchte ich dagegenhalten und diese Tradition nicht nur bewahren, sondern vor allem wieder beleben. Dass immer noch so viele Menschen an den Veranstaltungen teilnehmen und es eine schöne Resonanz gibt, beweist mir, dass der Salon weiterhin benötigt wird.
Am 25. Juni 2025 wird nun der 30. Jahrestag sein und wir werden den (fast) 300 Autoren – natürlich eine Autorin – feiern. Und das ist Ulrike Marie Hille mit ihrem neuen im sujet-Verlag erscheinendem Buch mit Erzählungen Der Hinfahrer und der Rückfahrer.
Sie sind alle herzlich eingeladen! (kostet nix, aber bitte anmelden!)