Satzwende: Helga Bürster (1/2)

Graffito Snackst du platt?
© Rike Oehlerking

So Platt, so gut

In meinen Romanen lasse ich manche Figuren plattdeutsch sprechen. Ein Schneidermeister, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem norddeutschen Dorf lebte, sprach Hochdeutsch nur als Fremdsprache, um ein Beispiel zu nennen. Auch in Bremen wurde lange Platt gesprochen, es war die Geschäftssprache der Hanse. Man schnackte, verhandelte und schrieb op Platt. Als die Hanse unterging, nahm sie die Sprache mit. Das Plattdeutsche wurde schließlich in den Schulen verboten. Die Sprache, von nun an belächelt, kehrte der Welt den Rücken. In harmlosen Döntjes und in den Klamotten des niederdeutschen Theaters nahm sie endgültig den Geruch von Mottenkugeln an. Absurderweise überlebte sie in eben diesen Nischen, aus der Literatur verschwand sie fast vollständig. Dichter wie Klaus Groth und Fritz Reuter sind die Ausnahme.  


“Plötzlich ist es chic, ein paar Brocken zu beherrschen. Wer Platt kann, hat ein Alleinstellungsmerkmal. Nordisch by Nature eben.


Dass es heute besser um die plattdeutsche Sprache bestellt ist, liegt nicht zuletzt an der Europäischen Charta zum Schutz der Regional- und Minderheitensprachen. In Deutschland fallen seit 1999 Dänisch, Ober- und Niedersorbisch, Nord- und Saterfriesisch, Romanes und Plattdeutsch unter den Schutz der Sprachencharta. Dies bedeutet eine immense Aufwertung und überdies Fördermittel. Die Charta hat das Plattdeutsche gründlich aufgebürstet, könnte man meinen, denn plötzlich ist es chic, ein paar Brocken zu beherrschen. Wer Platt kann, hat ein Alleinstellungsmerkmal. Nordisch by Nature eben. Es wird platt gerappt, geslammt, gespielt, gesungen und auch wieder geschrieben, wobei Letzteres die lebensspendende Medizin ist, denn Sprachen überleben in der Schrift. Das gesprochene Wort ist nämlich allzu flüchtig. Dass es in Oldenburg eine Professur für niederdeutsche Literatur gibt, ist letztendlich auch der Charta zu verdanken. Allerdings sieht die Praxis anders aus. Oute ich mich als Autorin für das niederdeutsche Hörspiel, ernte ich im Literaturbetrieb eher Befremden. Der Mief hängt eben doch noch in den Falten. Fragt sich nur, in wessen.

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Portrait Helga Bürster
© Uwe Stalf

Helga Bürster

wurde 1961 geboren und ist in einem Dorf bei Bremen aufgewachsen, wo sie auch heute wieder lebt. Sie studierte Theaterwissenschaften, Literaturgeschichte und Geschichte in Erlangen, war als Rundfunk- und Fernsehredakteurin tätig, seit 1996 ist sie freiberufliche Autorin. Zu ihren Veröffentlichungen zählen Sachbücher und Regionalkrimis, zudem wurden von Radio Bremen/ NDR sowie vom SWR Hörspiele von ihr ausgestrahlt. 2019 erschien ihr literarisches Debüt Luzies Erbe, im September erscheint Als wir an Wunder glaubten.

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