Satzwende: Per Leo (2/2)

Menschen diskutieren miteinander.
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II. Für Deutschland!

Damit die Rechte nicht weiter an Macht gewinnt, muss man die Auseinandersetzung von der symbolischen auf die politische Ebene verlagern. All die „Zeichen“, die jetzt gegen rechts „gesetzt“ werden, sind zweischneidig. Sie haben ihr Gutes in der Solidarität mit den Menschen, die sich zu Recht vor der AfD fürchten. Zugleich aber verlängern sie ein Spiel, das die Rechte wie nichts anderes beherrscht: den Kulturkampf. Demonstrationen sind dann wirksam, wenn sich in ihnen ein Interesse oder ein Ziel zeigt, kurz: wenn sie politischen Charakter haben.


Was das heißt? Zur Klärung kann eine Anleihe aus dem Englischen helfen, das über drei Begriffe des Politischen verfügt, wo das das Deutsche nur einen kennt. Der Begriff polity bezeichnet, erstens, das Ganze eines Gemeinwesens. Was wollen wir sein? Eine Demokratie, natürlich – aber dieser Kampfbegriff taugt hier nicht. Denn die Rechten mobilisieren selbst mit ihm, genauso wie sie die herrschende Ordnung als autoritär diffamieren. Wir sind die Demokraten! Nein, wir! Ihr seid die Faschisten! Nein, ihr! So kommt man nicht weiter.

Effektiver wäre es, sich die von der Rechten gekaperten politischen Schlüsselbegriffe zurückzuholen und so zu fassen, dass sie klare Unterscheidungen ermöglichen: Volk, Nation, Patriotismus. Wir sind ein Staatsvolk in der EU, keine abgeschottete Ethnie, was zählt, sind Staatsbürgerschaft, Grundgesetz, Sprache und Rechtsstaat; wir wollen eine Nation sein, aber zukünftig eher im Sinne der Revolutionen des 18. Jahrhunderts als im Sinne einer Abstammungs- und Kulturgemeinschaft; wir sind Patrioten, weil wir uns für das Gedeihen unseres Landes verantwortlich fühlen.


Zweitens bezeichnet der Begriff policy das Programmatische der Politik. Hier gälte es in erster Linie, die Rechten bei ihrem Schlüsselthema zu stellen: der Migration. Statt im Wahlkampf die repressive Rhetorik der AfD zu imitieren oder sich in Wohlfühlphrasen à la „Multikulti“ zu flüchten, müssten wir ein realistisches Selbstbild als hochdiverse Einwanderungsgesellschaft entwickeln: mit ihren Chancen, aber auch mit ihren Konflikten, vor allem aber mit all den Anstrengungen, die nötig sind, damit sie gelingt. Schließlich erinnert, drittens, der Begriff politics daran, dass Politik Kampf um Macht bedeutet. Statt gegen rechts zu kämpfen sollten wir keine Scheu haben, in aller Härte miteinander um die Zukunft zu streiten. Die Macht der AfD wächst, wenn sie sich als Alternative zum „System“ darstellen kann. Sie schrumpft, wenn Alternativen wieder im System repräsentiert sind. Wie aber könnte man diese Einheit des Politischen nennen? Mein Vorschlag: Deutschland.

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Ein Portrait des Autors Per Leo.
© Alexa Geisthövel

Per Leo

wurde 1972 geboren. Er wurde mit einer Arbeit über die Geschichte des Antisemitismus in Deutschland promoviert. Sein Debütroman Flut und Boden stand auf der Shortlist des Leipziger Buchpreises. Der von ihm mitverfassten Leitfaden Mit Rechten reden wurde zum vieldiskutierten Bestseller. Zuletzt erschien von ihm Noch nicht mehr. Die Zeit des Ruhrgebiets. Leo lebt als freier Autor und Schatullenproduzent in Berlin.

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