Es fehlt seit zwei Dekaden, wenn man sich ins Internet einwählt, die auditive Haptik, also die vom Modem ausgehenden Schallwellen, das lange Piepen, das Geräusch, wie sich etwas einpendelt.
Es reicht ein Passwort aus, um sich über W-Lan einzuklinken in das World Wide Web. Und alles ist immer sofort vorhanden, bereits kuratiert, vorgekaut. Für jeden von uns gibt es einen Algorithmus, gibt es mittlerweile auch, wenn wir auf Suchprogrammen Begriffe eingeben, KI, egal, ob wir es wollen oder nicht.
Der eigene Geschmack wird beeinflusst von dem Wechselspiel dessen, was man eingibt mit dem, was einem widergespiegelt wird, über Werbeblöcke auf YouTube und in den ersten, bezahlten Platzierungen der Suchmaschinenoptimierung.
Ich erinnere mich noch an eine Zeit in meiner Kindheit, als das Suchen freier war. In Foren gingen wir damals Hobbies nach,
hast du diese Folge diesen obskuren Animes (jap. Animationsserie) bereits gesehen, Person im Internet, die ich nicht kenne und mangels Social Media nicht stalken kann?
Wir können sein, wer wir wollen, unsere Schritte im Netz bleiben anonym. Auch für Cyberkriminalität ist es der Beginn lukrativer Zeiten, denn die wahre Identität bleibt hinter Avataren verborgen und ist nicht leicht aufzuspüren.
Wenn man damals speziellen Interessen nachging, dem, was gemeinhin als nerdig verstanden wurde – Star Trek, Herr der Ringe, Sailor Moon, Twin Peaks, Naruto, Counter Strike – suchte man online nach Gleichgesinnten.
Ohne den personalisierten Algorithmus bestand die Möglichkeit, Neues zu entdecken, die Interessen eigenständig zu erweitern. Wenn man bestimmte Dinge gut fand, die in der Schule weniger angesagt waren, fühlte man sich zwar in manchen Bereichen isoliert. Aber der Moment der Verbindung, der Moment des Zugangs fühlte sich dafür auch so an, als erhielte man Zugang zu einem geheimen Wissen, als werde man Teil eines exklusiven Clubs.
Diese Offenheit in der Suchbewegung im Internet wünsche ich mir heutzutage oft zurück. Gleichzeitig ist der Zugang zu vielen Themen und Interessensgebieten, die sonst nur einigen wenigen vorbehalten geblieben wären, jetzt viel offener.
Trotzdem: Ich möchte das Internet wieder spüren, das Einwahlgeräusch, die Vibrationen.
Dass es mich bewegt.
Simoné Goldschmidt-Lechner
schreibt, übersetzt, interessiert sich für (queere) Fandoms online, Horror aus postmigrantischer Perspektive, Sprache in Videospielen und sprachlich Experimentelles. Seit 2022 ist sie Teil verschiedener Theater-, Performance- sowie Filmprojekte. Sie gibt das Literaturmagazin process*in mit heraus. 2022 erschien der Debütroman Messer, Zungen, 2024 das zweisprachige Buch Ich kann dich noch sehen (an diesen Tagen), das mit dem Preis für das Buch des Jahres der Hamburger Literaturpreise ausgezeichnet wurde. Sie hat Übersetzungen u. a. von Against White Feminism von Rafia Zakaria (2022), Exponiert von Olivia Sudjic (2023) und Good Talk von Mira Jacob (2022) erstellt.