Lesetipp: Jens Laloire empfiehlt

Jens Laloire

Geschäftsführer des Bremer Literaturkontors

Cover Wie man eine Pipeline in die Luft jagt

Gewalt ist keine Lösung, heißt es. Eine Binsenweisheit, der man gerne nickend beipflichtet. Aber stimmt diese Aussage wirklich in jedem Fall oder kann Gewalt manchmal doch dabei helfen, Probleme zu lösen? Diese Frage erörtert der schwedische Humanökologe Andreas Malm in seinem Sachbuch „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“. Anders als der knallige Titel suggeriert, liefert Malm keine Anleitung für explosive Aktionen, allerdings durchaus Denkanstöße für den militanten Widerstand gegen die Verursacher der Klimakatastrophe.

Der vorwiegend pazifistische Protest sei Malm zufolge viel zu zahm und daher meist weitgehend erfolglos. Protestbewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion mögen eine Weile Aufmerksamkeit erregen, aber am Ende drohen die Aktionen zu verpuffen, sodass schließlich alles bleibt, wie es ist. Anhand einiger historischer Beispiele veranschaulicht Malm, dass es oft einer radikalen, gewaltbereiten Flanke bedürfe, damit soziale Protestbewegungen ihre Ziele erreichen. Das Gleiche, glaubt Malm, gelte für die Klimabewegung. Ihm geht es dabei jedoch ausschließlich um Gewalt, die sich gegen Objekte wie Tagebaubagger, SUVs oder Pipelines richtet.

Die Idee dahinter ist recht simpel: Sabotageaktionen sollen das System, das auf der Verfeuerung fossiler Brennstoffe beruht, immer wieder von Neuem lahmlegen und damit die Kosten so weit in die Höhe treiben, bis sich der Betrieb eines Braunkohletagebaus oder das Fahren eines SUVs nicht mehr lohnen. Wer jeden Morgen damit rechnen muss, sein Auto mit platten Reifen oder zerkratztem Lack vorzufinden, wird sich den Kauf eines SUVs gut überlegen.

„Konsum ist Teil des Problems, und zwar insbesondere der Konsum reicher Menschen. Es besteht eine überaus enge Korrelation zwischen Einkommen und Vermögen einerseits sowie CO2-Emissionen andererseits.“ (S. 97)

Malm selbst hat sich offenbar bei diversen Sabotageaktionen beteiligt und zieht diese als Beispiele heran. Praxisnähe dieser Art mag bei einem Wissenschaftler etwas überraschen, doch der 43-Jährige versteht sich explizit auch als Aktivist. Das merkt man dem Stil seines Buches deutlich an. Manche Passagen kommen äußerst plakativ daher, einige Vergleiche wirken weit hergeholt und die Empörungsrhetorik nervt teilweise gehörig. Da wäre bei allem Verständnis für den berechtigten Ärger des Autors an vielen Stellen weniger Emotionalität vermutlich überzeugender.

Trotzdem bleibt bei allen stilistischen Mängeln die Frage höchst aktuell: Was tun, wenn weltweite Demonstrationen, erschütternde Klimaberichte und die Bilder von verheerenden Unwettern keine nachhaltigen Veränderungen bewirken? Braucht es dann nicht andere Formen des Widerstands? Malms Antwort ist eindeutig: Das Recht auf Widerstand kann sich in bestimmten Situationen in eine Pflicht verwandeln, in eine Aufforderung zu intelligenter Sabotage.

Man muss Malm in seiner Argumentation nicht unbedingt folgen, doch sein Buch liefert Fakten, Beispiele und Anregungen, die einen grübeln lassen, ob der aktuelle Protest angesichts der akuten Probleme nicht tatsächlich viel zu mickrig und milde ausfällt.

WIE MAN EINE PIPELINE IN DIE LUFT JAGT. KÄMPFEN LERNEN IN EINER WELT IN FLAMMEN | Andreas Malm | SACHBUCH Matthes & Seitz | Berlin 2020 | 221 S. | €18,00

Jens Laloire

ist Moderator, Dozent und Autor sowie seit 2019 Geschäftsführer des Bremer Literaturkontors. Außerdem gehört er zum Team unserer Redaktion, die hier regelmäßig Lesetipps gibt. Darüber hinaus betreibt er den Blog Die Tanztendenz des Geistes, auf dem er neben Buchbesprechungen auch literarische Schnipsel und Miniaturen veröffentlicht. Mehr dazu findet man auf Instagram unter @la_loire.

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Porträt von Jens Laloire
© Rike Oehlerking

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