Heidelberg: City of Literature

Heidelberg City of LIterature
© Dorn

Als bisher einzige deutsche Stadt trägt Heidelberg den Titel UNESCO City of Literature - und da sind wir natürlich neugierig! Dr. Andrea Edel koordiniert in Heidelberg die Aktivitäten rund um den Titel. Im Interview mit Annika Depping hat sie verraten, welche Vorteile das Creative Cities Netzwerk mit sich bringt, wie der Bewerbungsprozess ablief und welche Tipps sie Bremen mit auf den Weg geben kann.

Was macht Heidelberg zu einer City of Literature und seit wann trägt die Stadt den Titel?

Heidelberg ist eine sehr lebendige Literaturstadt: Mehr als 150 Autor*innen leben und schreiben hier, sodass jedes Jahr zahlreiche neue Werke vieler literarischer Gattungen in Heidelberg entstehen – vom Krimi bis zum Liebesroman, vom Kinderbuch bis zum Gedichtband. Die zahlreichen Literaturübersetzer*innen Heidelbergs sorgen für deren Verbreitung in internationale Sprachen. Hinzu kommen die vielen wissenschaftlichen Publikationen, die von den Lehrenden und Studierenden der Universität Heidelberg herausgebracht werden. Als Sitz der ältesten Universität im heutigen Deutschland und bis 1623 auch der weltberühmten Bibliotheca Palatina ist Heidelberg seit jeher eine Stadt, in der viele Bücher entstehen und gesammelt werden. Gegenwärtig gibt es hier ca. 50 Verlage, 40 öffentliche Bibliotheken, 25 Buchhandlungen und Antiquariate – in Relation zur Zahl von etwas mehr als 161.000 Einwohner*innen eine beachtliche Dichte. Entsprechend der Bewertungskriterien der UNESCO war dies mit ausschlaggebend für die Bewertung der Bewerbung der Stadt Heidelberg um Aufnahme als Literaturstadt ins globale Netzwerk der UNESCO Creative Cities. 

Portrait Dr. Andrea Edel
© privat

Mehr über die City of Literature Heidelberg gibt es hier

Mit welchen Projekten hat sich Ihre Stadt auf den Titel City of Literature beworben?

In der Bewerbung Heidelbergs als UNESCO City of Literature sind sehr viele Projekte aufgeführt, die zum Zeitpunkt der Bewerbung wichtig waren und die heute nach wie vor wichtig sind. Hier eine Auswahl: die jährliche Poetikdozentur der Stadt und der Universität Heidelberg, die regelmäßige Vergabe der Literaturpreise: Clemens-Brentano-Preis und Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil, Karl-Jaspers-Preis der Stadt, Universität und Akademie der Wissenschaften Heidelberg, Das unerschrockene Wort der bundesdeutschen Lutherstädte und der Erzählwettbewerb der Julius-Springer-Schule, wo u.a. Buchhändler*innen ausgebildet werden. Die internationalen Literaturfestivals Heidelberger Literaturtage und Stückemarkt des Theaters und Orchesters Heidelberg wurden eingebracht sowie die vielen Lesungen, Diskussionsveranstaltungen und Dokumentationen der auf Literatur fokussierten Kulturinstitutionen. Dazu zählen die Stadtbücherei Heidelberg, das Deutsch-Amerikanische Institut, das Kulturhaus Karlstorbahnhof, Interkulturelles Zentrum, Museum Sammlung Prinzhorn, Museum Haus Cajeth, Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Reichspräsident Friedrich Ebert-Gedenkstätte, GEDOK Heidelberg und Volkshochschule Heidelberg mit der Akademie für Ältere.

Wie kam es zur Idee, dass sich Ihre Stadt auf den Titel beworben hat und wie sah der Bewerbungsprozess aus?

Im Jahr 2010 wurde im Auftrag der Stadt Heidelberg vom Geographischen Institut der Universität Heidelberg eine Studie zur Kreativen Ökonomie in Heidelberg erstellt, aus der hervorging, dass die Buchbranche in Heidelberg besonders wirtschaftskräftig ist und viele professionelle Akteur*innen verbindet. Auf dieser Grundlage entwickelte der damalige Kulturdezernent Dr. Joachim Gerner die Idee, eine Bewerbung Heidelbergs als UNESCO City of Literature auf den Weg zu bringen. Dazu berief er ein Bewerbungskomitee ein, in dem 16 Personen zusammenwirkten – 13 Vertreter*innen der freien Szene, der Heidelberger Kulturinstitutionen und der Universität Heidelberg zusammen mit drei Vertreter*innen der Stadtverwaltung Heidelberg aus dem Kulturamt und der Kultur- und Kreativwirtschaft. In drei Jahren konzentrierter Zusammenarbeit entstand dann die reichhaltig repräsentative Bewerbungsschrift in Buchform, die öffentlich präsentiert und in einem letzten Arbeitsschritt im Kulturamt bis April 2014 für das einheitlich vorgegebene Format des Bewerbungsformulars komprimiert und ins Englische übersetzt wurde.

Wie hat die Szene auf die Bewerbungspläne reagiert?

Überwiegend positiv. Die Entstehung der Bewerbung wurde von den meisten Akteur*innen der Heidelberger Literaturszene aktiv unterstützt, zumal die maßgebenden Persönlichkeiten der Heidelberger Literaturszene zur Mitarbeit im Bewerbungskomitee eingeladen waren. Es gab jedoch auch einzelne Skeptiker, die im Vorfeld nicht davon überzeugt werden konnten, dass die Aufnahme Heidelbergs ins globale Netzwerk der UNESCO Cities of Literature tatsächlich mit konkreten Vorteilen für die regionale Literaturszene verbunden sein könnte, die jedoch in den Jahren nach der Auszeichnung Heidelbergs als UNESCO City of Literature hervorragende Beiträge zum Programm beigetragen und sich sehr konstruktiv in die erfolgreiche Entwicklung der UNESCO City of Literature Heidelberg eingebracht haben.

Bühne Literaturtage Heidelberg
© Annemone Taake

Was bedeutet es für Heidelberg, Teil der UNESCO-Creative Cities zu sein?

Heidelberg kann die Zusammenarbeit der gegenwärtig 42 internationalen UNESCO Cities of Literature nun effektiv mitgestalten, ebenso die strategische Entwicklung des wachsenden Netzwerks der deutschen UNESCO Creative Cities. Auf Grund der partizipativen Netzwerkarbeit der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK) wird Heidelberg darüber hinaus für die Gestaltung der Umsetzung der Ziele der UNESCO konsultiert. Eine zentrale Bedeutung kommt dabei den Sustainable Development Goals (SDGs) der United Nations und dem Prinzip der Vorzugsbehandlung für die Länder des sogenannten „globalen Südens“ zu. Auch mit den weiteren globalen Netzwerken der UNESCO, z.B. den Global Geoparks, den Kultur- und Natur-Welterbestätten, dem immateriellen Kulturerbe oder den UNESCO-Projektschulen und -lehrstühlen ist die UNESCO City of Literature Heidelberg dank der DUK aufs Engste vernetzt.


„Die lokal entwickelten Projekte Heidelbergs erhalten im Verbund der UNESCO-Netzwerke wesentlich größere Aufmerksamkeit.“


Die aus diesen Vernetzungen resultierenden Informationen kommen der lokalen Literaturszene in Heidelberg zu Gute, wie auch umgekehrt: Die lokal entwickelten Projekte Heidelbergs erhalten im Verbund der UNESCO-Netzwerke wesentlich größere, teils internationale Aufmerksamkeit. So wurde das von Akteur*innen der UNESCO City of Literature Heidelberg entwickelte internationale Kooperationsformat Expedition Poesie, die Begegnung von Poet*innen aus verschiedenen UNESCO Cities of Literature aus verschiedenen Sprachen in Übersetzungslabors, als „best practise“ in den Dritten Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland zur Umsetzung der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen aufgenommen. Ein Beispiel für eine Projektgenese, die ohne das Netzwerk der UNESCO Creative Cities niemals möglich gewesen wäre, ist Poetic Encounters .

Expedition Poesie
© Christian Buck
Literaturtage Heidelberg
© Christian Buck

Was waren die ersten Schritte, nachdem Sie den Titel erhalten hatten?

Zuerst wurde gefeiert. Am Tag der Verkündung der Entscheidung, am 30.11.2014, veranstalteten wir ein Fest der Literaturstadt Heidelberg – damals noch unabhängig davon, ob wir UNESCO City of Literature werden oder nicht. Kaum vorstellbar, wie sehr wir uns freuten, als dann tatsächlich kurz vor der Veranstaltung der Anruf der UNESCO kam. Gleich nach der Party wurden alle professionellen Literaturakteur*innen kontaktiert, die bislang noch nicht informiert oder eingebunden waren – über 250 Einzelgespräche in 6 Monaten allein zu diesem Zweck, z.B. mit den literatur- und sprachwissenschaftlichen Instituten der Universität und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und vielen Kultureinrichtungen, Festivals und Initiativen der Region. Im nächsten Schritt dann luden wir alle uns damals bekannten Autor*innen, Literaturübersetzer*innen, Buchhändler*innen und Verleger*innen der Region Heidelberg zu einer großen Versammlung in der Stadtbücherei ein, um alle über das Netzwerk und seine Möglichkeiten zu informieren, Wege zur Gestaltung der Zukunft gemeinsam anzudenken und zu diskutieren, Gruppen zu bilden, Sprecher*innen zu wählen und schließlich, um eine Arbeitsstruktur zu bilden, die bis heute weiterträgt.

Wie ging es dann weiter? Welche regelmäßigen Treffen gibt es zum Beispiel?

Zur wichtigsten Plattform der UNESCO City of Literature Heidelberg hat sich die Heidelberger Literaturversammlung entwickelt. Ein bis zwei Mal im Jahr sind hier alle Profis der Heidelberger Literaturszene eingeladen, um sich zu vernetzen, allen anderen ihre Neuigkeiten mitzuteilen und Informationen aus dem Netzwerk der UNESCO Cities of Literature zu erhalten. Wir treffen uns im Rathaus, im selben Saal, in dem auch der Gemeinderat tagt.

Literatur in der Straßenbahn Heidelberg
© Stadt Heidelberg

Welche internationalen Verbindungen sind für Ihre Stadt aus dem Eintritt ins Creative Cities Netzwerk hervorgegangen? Welche Projekte konnten dadurch angeschoben werden?

Zahlreiche Autor*innen, Verleger*innen und Buchhändler*innen aus Heidelberg konnten im Rahmen von Gastresidenzen in den anderen UNESCO Cities of Literature Prag, Granada, Barcelona, Nanjing, Göteborg, Mailand, Krakau, Ulyanovsk u.a. wertvolle Erfahrungen sammeln, nach Heidelberg mitbringen und mit den Kolleg*innen vor Ort teilen. Auch hatten wir in Heidelberg bereits viele Künstler*innen aus anderen UNESCO Cities of Literature zu Gast. Zuletzt ist die ukrainische Autorin Hanna Osadko über die UNESCO City of Literature Lviv für eine mehrmonatige Gastresidenz in Heidelberg eingetroffen. Es gelangen regelmäßig Calls für internationale Gastresidenzen oder internationale Kooperationsprojekte nach Heidelberg, die an alle Heidelberger Vertreter*innen der entsprechend gefragten Berufsgruppen weitergeleitet werden.

Heidelberg hat auch eigene Formate entwickelt und Projekte ins Netzwerk der UNESCO Cities of Literature eingespeist: Gegenwärtig wird die dritte Auflage von Expedition Poesie realisiert. Nach Prag und Granada ist nun die UNESCO City of Literature Melbourne unser Partner. Eine weitere Projektreihe, die wir von Heidelberg aus ins Leben gerufen haben, ist Abschied von Gestern: Das Tagelied und die Gegenwartslyrik. Als dritte UNESCO City of Literature möchte nun Mailand auf unsere Einladung eingehen, Poet*innen aus der eigenen Stadt dazu einzuladen, aktuelle Versionen der mittelalterlichen Form des Tagelieds zu schreiben, wie sie in der Sammlung von Minnegesängen im Heidelberger Codex Manesse erhalten sind. Eine neue Projektreihe wird gegenwärtig von den UNESCO Cities of Literature Melbourne und Heidelberg gemeinsam initiiert: The Green House mit literarischen Erkundungen von persönlich ausgewählten Naturorten in Städten. Mit der UNESCO City of Literature Granada initiierten und realisierten wir 2016 in Kofinanzierung die Übernahme der Ausstellung Osip Mandelstam. Wort und Schicksal des staatlichen Literaturmuseums Moskau in unsere Städte samt der gemeinsamen Publikation eines bilingualen Buchs zur Ausstellung in Deutsch und Spanisch. 

Mit allen 42 UNESCO Cities of Literature stehen wir permanent in freundschaftlicher und partnerschaftlicher Verbindung. Dieser rege Austausch führt immer wieder zu Einladungen, Vertreter*innen der Literaturszene aus Heidelberg zu Gastprogrammen im Rahmen von Buchmessen oder Festivals in andere UNESCO Cities of Literature zu entsenden. Mehrere Delegationen von Akteur*innen der Heidelberger Literatur- und Hip Hop-Szene repräsentierten die UNESCO City of Literature Heidelberg beim Festival Book City Milano, auf der Buchmesse Prag, beim Poesiefestival Silesius in Breslau, beim Sankt-Jordi-Fest in Barcelona und demnächst bei der Buchmesse 2023 in Granada.

Worin besteht aus Ihrer Sicht der Mehrwert eines derartigen kulturellen Austausches?

Der Aktionsradius der Literaturakteur*innen Heidelbergs kann durch die Einbindungen in internationale Netzwerkkooperationen erheblich erweitert werden. Seit der Auszeichnung Heidelbergs als UNESCO City of Literature 2014 sind viele Texte, Übersetzungen und Bücher entstanden, die es ohne das Netzwerk der UNESCO Cities of Literature nicht gegeben hätte. Viele Verbindungen und sogar Freundschaften zwischen Akteur*innen aus Heidelberg und Kolleg*innen in den UNESCO Cities of Literature der ganzen Welt sind entstanden. Auch erfahren wir in Heidelberg viel über die best practises z.B. zur Förderung junger Autor*innen und Leser*innen in anderen UNESCO Cities of Literature und können von diesem Wissen profitieren.

Stadtbücherei Heidelberg
© Stadt Heidelberg

Welche Tipps und Anregungen können Sie Bremen für die Bewerbung mit auf den Weg geben?

Von meiner Kollegin Frau Alexandra Tacke habe ich bereits viel über die großartige Bewerbung der Stadt Bremen als UNESCO City of Literature erfahren. Ich bin sehr beeindruckt z.B. vom geplanten Stadtmusikanten- und Literaturhaus. Es wäre ein großer Gewinn für die UNESCO City of Literature Heidelberg, mit Bremen in den Netzwerken der deutschen Kreativstädte und der UNESCO Cities of Literature zusammen arbeiten zu können. Ich drücke feste die Daumen, dass es klappt.


„Es wäre ein großer Gewinn für die UNESCO City of Literature Heidelberg, mit Bremen in den Netzwerken der deutschen Kreativstädte und der UNESCO Cities of Literature zusammen arbeiten zu können.“


Kennen Sie Bremen? Was schätzen Sie an der Stadt?

Sehr gerne würde ich die Stadt Bremen intensiver erkunden, dann sie hat so vieles zu bieten – die vielfältigen Festivals, die reiche Theaterlandschaft, die Bremer Museen, die Konzerte in der Glocke, die Begegnungen mit Künstler*innen in Clubs, Galerien, Ateliers und Kneipen, die Urban Art in der Stadt – bei meinen ersten kurzen Aufenthalten in Bremen konnte ich wunderbare erste Eindrücke gewinnen, die ich gerne vertiefen möchte. Bremen ist eine sehr zum Wohle der darin lebenden Menschen gestaltete Stadt und eine wahre Kulturstadt mit einer äußerst vielfältigen und lebendigen Literaturszene. Das erfreut mein Herz.

Dr. Andrea Edel

geboren 1963, ist internationale Kulturmanagerin. Sie studierte Musik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main und Kunstgeschichte an den Universitäten Frankfurt am Main, Freiburg im Breisgau, Gießen und Bern. 1990 bis 1993 war sie Auslandsstipendiatin der Gerda Henkel Stiftung in Paris. 1993 erschien ihre Dissertation über den Kunsttheoretiker Charles Blanc (1813-1882). Nachdem sie 1994 bis 1996 am Museum für Angewandte Kunst Köln tätig war, arbeitete sie von 1997 bis 2014 als Direktorin des Referats Kultur der Stadt Kaiserslautern. Seit April 2014 ist Dr. Andrea Edel Leiterin des Kulturamts der Stadt Heidelberg und seit Dezember 2014 koordiniert sie die UNESCO City of Literature Heidelberg. 2015 wurde sie Mitglied des Beirats Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen der Deutschen UNESCO-Kommission e.V..

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