Satzwende: Ulrike Sterblich (2/2)

Nachts am Güterbahnhof
© Rike Oehlerking

Die #Nacht und ihre Abwesenheit II

Die Nacht und die Stadt, die Nacht in der Stadt, ich habe sie immer geliebt. In der Stadt funkelt die Nacht, als sei der Sternenhimmel zu Besuch auf Erden. Woraus dann auch, logisch, folgt, dass er oben nicht mehr zu sehen ist. Wer die Sterne oben am Himmel sehen will, braucht die ungestörte Dunkelheit der Nacht hier unten. Beides zusammen ist nicht zu haben. Aber während wir für gewöhnlich wissen, ob wir in den Sternenhimmel blicken oder ins elektrische Gefunkel der urbanen Nacht, kommen andere dabei durcheinander. Andere Wesen. „Indem wir den Planeten heller und lauter gemacht haben, haben wir die Lebensräume zahlloser Arten in einer Weise gefährdet, die uns zwar weniger schrecklich erscheint als abgeholzte Regenwälder und ausgebleichte Korallenriffe, aber nicht weniger tragisch ist“, schreibt der Zoologe, Philosoph und Biochemiker Ed Yong in seinem Buch Die erstaunlichen Sinne der Tiere: Erkundungen einer unermesslichen Welt. Insekten, Zugvögel, sogar Wasserschildkröten lassen sich millionenfach in die Irre führen von all den künstlichen Monden, Sternen und Sonnen.


“In der Stadt funkelt die Nacht, als sei der Sternenhimmel zu Besuch auf Erden.“


Und auch wir werden gefoppt. Der Kopf kann Lampen vielleicht noch von Gestirnen unterscheiden, die Zirbeldrüse kann es nicht. Der italienische Astronom Pierantonio Cinzano hat mit seinem Team und anhand von Satellitenbildern einen eindrucksvollen Atlas der Lichtverschmutzung erstellt. Darin zeigt sich: in weiten Teilen der Welt, in Europa und Nordamerika zumal, leben mehr als 99 Prozent der Menschen (und der Tiere und Pflanzen) permanent in einem Licht, das die Nacht, wie sie einmal war, vertrieben hat.

Da geht sie also hin, die stille Dunkelheit. Ihr Verschwinden kaum ein Thema, ihr Verlust nur selten betrauert. Vielleicht, weil das Glitzern so schön ist. Auch wenn es uns den Schlaf raubt, diesen merkwürdigen, wunderbaren Zustand.

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Satzwende: Ulrike Sterblich (2/2)

Are these the stars - or the lights of the city? Obviously!? In the second part of her Satzwende column, Ulrike Sterblich writes about how we and the animals are misled by the bright lights.

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Ulrike Sterblich
© Rike Oehlerking

 

Ulrike Sterblich

lebt in ihrer Heimatstadt Berlin, wo sie als Gastgeberin der Talk- und Lesebühne Berlin Bunny Lectures bekannt wurde. 2012 erschien ihr erfolgreiches Mauerstadt-Memoir Die halbe Stadt, die es nicht mehr gibt. 2021 veröffentlichte Ulrike Sterblich ihr vielbeachtetes literarisches Debüt The German Girl. Mit Drifter wurde die Politologin und Autorin aus Berlin für den Deutschen Buchpreis 2023 nominiert. Mysteriös und wunderbar fantastisch erzählt Ulrike Sterblich in ihrem Roman die Geschichte von Wenzel und Killer: Alles ändert sich, als Vica in ihr Leben tritt: eine Frau in goldenem Kleid, meist begleitet von zwei treuen Adjutanten und einem riesigen Zottelhund. Bei jeder Begegnung mit Vica ploppen neue Fragen auf. Sie kennt unerklärliche Geheimnisse und ihr Einfluss bringt Unruhe in die Welt der Freunde. Als Vica schließlich auch noch den Wohnblock ihrer Kindheit in Beschlag nimmt, gerät die Welt von Wenzel und Killer ins Wanken.

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„Unerwartungen“: Lilli Rother

Was erwartest du vom Leben, von der Stadt? In ihrem Text "Unerwartungen" stellt sich Studentin Lilli Rother diesen Fragen. Entstanden ist er im Seminar "Kreatives Schreiben zu Kunst" und wurde zuerst auf dem Studierendenblog Blogsatz veröffentlicht. Schau mal rein, ob er deine Erwartungen erfüllt!